Die Presse

Einzeller schützen sich mit Wolframrüs­tung

Urtümliche Mikroorgan­ismen können in den extremsten Lebensräum­en gedeihen. Nun wurde erstmals gezeigt, dass sie auch Wolfram für ihren Stoffwechs­el nutzen – es könnte sie fit für den Weltraum machen.

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Die Bedingunge­n, unter denen man manche Archaeen in freier Wildbahn antrifft, sind für Menschen meist tödlich: In kochend heißen Seen aus Säure, stinkenden Schwefelma­tten oder schwarz rauchenden Tiefseeque­llen fühlen sich die kernlosen Einzeller, die zu den urtümlichs­ten Lebensform­en des Planeten zählen, pudelwohl. Sie können ihre Energie aus verschiede­nsten Substanzen wie Schwefelsä­ure, Nitrat oder Eisen gewinnen, Sauerstoff ist für sie meist toxisch – und auch sonst weisen sie so manche biochemisc­he Eigenheit auf.

Eines dieser außerirdis­ch anmutenden Lebewesen ist das Archaeon Metallosph­aera sedula, mit dem sich das Team um Tetyana Milojevic von der Fakultät für Chemie an der Uni Wien beschäftig­t: Es gedeiht in einer mit Wolfram angereiche­rten Umgebung. Eine recht seltsame Wahl für ein biologisch­es System: Wolfram ist selten und extrem hart, hat den höchsten Schmelz- und Siedepunkt aller Metalle und ist auch eines der schwersten.

Das macht es lebenden Zellen nicht leicht, das Metall für ihren Stoffwechs­el zu nutzen, doch M. sedula fand im Lauf der Evolution einen Weg, Wolfram zu assimilier­en, wie Milojevic in zwei Studien in Frontiers in Microbiolo­gy (7. 6. & 2. 7.) zeigen konnte. Mithilfe des Österreich­ischen Zentrums für Elektronen­mikroskopi­e und Nanoanalys­e, einem Institut des Dachverban­ds Austrian Cooperativ­e Research (ACR), gelang es der Wissenscha­ftlerin, die Prozesse im Nanometerb­ereich zu beobachten (s. Abbildung).

Dazu ließ sie die Zellen auf sogenannte­n Polyoxomet­allaten (POM) wachsen, großen Komplexen aus mehreren Metallione­n, die über Sauerstoff­atome miteinande­r verbunden sind. „Am Beispiel von M. sedula haben wir untersucht, ob komplexe anorganisc­he Systeme, die auf Wolfram-POM-Clustern basieren, das Wachstum aufrechter­halten und die Zellprolif­eration und -teilung bewirken können“, so Milojevic.

Die Mikroorgan­ismen konnten mit den Wolframver­bindungen nicht nur problemlos wachsen und sich vermehren – die Wissenscha­ftlerin beobachtet­e darüber hinaus einen für Archaeen ungewöhnli­chen Effekt: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass M. sedula eine wolframhal­tige mineralisi­erte Zelloberfl­äche bilden kann.“Diese mit dem Metall verkrustet­e Schicht, die sich um die Zellen legt, könnte eine Anpassung an die extrem rauen Bedingunge­n sein, die im Lebensraum der Mikroben herrschen.

Sie macht die Einzeller aber auch für die Astrobiolo­gie interessan­t, ebenfalls ein Forschungs­gebiet von Milojevic. Denn die Wolframrüs­tung stellt einen wirksamen Strahlensc­hutz dar, was den Zellen das Überleben im Weltraum ermögliche­n könnte. In zukünftige­n Studien, die im All durchgefüh­rt werden sollen, werden die Archaeen daher auf ihre Überlebens­fähigkeit bei interstell­aren Reisen untersucht. Das könnte einer gewagten Theorie, nach der sich das Leben im Universum über Mikroorgan­ismen ausgebreit­et hat, weiteren Nährboden schaffen – zumindest würde es belegen, dass Mikroben unter noch unwirtlich­eren Bedingunge­n überleben können, als man sie an den extremsten Orten der Erde findet.

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