Einzeller schützen sich mit Wolframrüstung
Urtümliche Mikroorganismen können in den extremsten Lebensräumen gedeihen. Nun wurde erstmals gezeigt, dass sie auch Wolfram für ihren Stoffwechsel nutzen – es könnte sie fit für den Weltraum machen.
Die Bedingungen, unter denen man manche Archaeen in freier Wildbahn antrifft, sind für Menschen meist tödlich: In kochend heißen Seen aus Säure, stinkenden Schwefelmatten oder schwarz rauchenden Tiefseequellen fühlen sich die kernlosen Einzeller, die zu den urtümlichsten Lebensformen des Planeten zählen, pudelwohl. Sie können ihre Energie aus verschiedensten Substanzen wie Schwefelsäure, Nitrat oder Eisen gewinnen, Sauerstoff ist für sie meist toxisch – und auch sonst weisen sie so manche biochemische Eigenheit auf.
Eines dieser außerirdisch anmutenden Lebewesen ist das Archaeon Metallosphaera sedula, mit dem sich das Team um Tetyana Milojevic von der Fakultät für Chemie an der Uni Wien beschäftigt: Es gedeiht in einer mit Wolfram angereicherten Umgebung. Eine recht seltsame Wahl für ein biologisches System: Wolfram ist selten und extrem hart, hat den höchsten Schmelz- und Siedepunkt aller Metalle und ist auch eines der schwersten.
Das macht es lebenden Zellen nicht leicht, das Metall für ihren Stoffwechsel zu nutzen, doch M. sedula fand im Lauf der Evolution einen Weg, Wolfram zu assimilieren, wie Milojevic in zwei Studien in Frontiers in Microbiology (7. 6. & 2. 7.) zeigen konnte. Mithilfe des Österreichischen Zentrums für Elektronenmikroskopie und Nanoanalyse, einem Institut des Dachverbands Austrian Cooperative Research (ACR), gelang es der Wissenschaftlerin, die Prozesse im Nanometerbereich zu beobachten (s. Abbildung).
Dazu ließ sie die Zellen auf sogenannten Polyoxometallaten (POM) wachsen, großen Komplexen aus mehreren Metallionen, die über Sauerstoffatome miteinander verbunden sind. „Am Beispiel von M. sedula haben wir untersucht, ob komplexe anorganische Systeme, die auf Wolfram-POM-Clustern basieren, das Wachstum aufrechterhalten und die Zellproliferation und -teilung bewirken können“, so Milojevic.
Die Mikroorganismen konnten mit den Wolframverbindungen nicht nur problemlos wachsen und sich vermehren – die Wissenschaftlerin beobachtete darüber hinaus einen für Archaeen ungewöhnlichen Effekt: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass M. sedula eine wolframhaltige mineralisierte Zelloberfläche bilden kann.“Diese mit dem Metall verkrustete Schicht, die sich um die Zellen legt, könnte eine Anpassung an die extrem rauen Bedingungen sein, die im Lebensraum der Mikroben herrschen.
Sie macht die Einzeller aber auch für die Astrobiologie interessant, ebenfalls ein Forschungsgebiet von Milojevic. Denn die Wolframrüstung stellt einen wirksamen Strahlenschutz dar, was den Zellen das Überleben im Weltraum ermöglichen könnte. In zukünftigen Studien, die im All durchgeführt werden sollen, werden die Archaeen daher auf ihre Überlebensfähigkeit bei interstellaren Reisen untersucht. Das könnte einer gewagten Theorie, nach der sich das Leben im Universum über Mikroorganismen ausgebreitet hat, weiteren Nährboden schaffen – zumindest würde es belegen, dass Mikroben unter noch unwirtlicheren Bedingungen überleben können, als man sie an den extremsten Orten der Erde findet.