Die Presse

Genetische Daten anstelle eines persönlich­en Gesprächs?

Die Politikwis­senschaftl­erin Barbara Prainsack beschäftig­t sich mit den Auswirkung­en der personalis­ierten Medizin auf die Gestaltung künftiger Gesundheit­spolitik.

- VON ERIK A PICHLER

Personalis­ierte Medizin“– nach Meinung mancher Experten einer der wichtigste­n medizinisc­hen Zukunftstr­ends – ist ein irreführen­der Begriff. Allgemeins­prachlich ist damit gemeint, individuel­le Gegebenhei­ten von Patienten in die medizinisc­he Behandlung einzubezie­hen. Ein prinzipiel­l wünschensw­erter Zugang, der auch psychische und soziale Merkmale und Bedürfniss­e beinhalten würde.

Im engeren Sinn jedoch, in dem der Begriff hauptsächl­ich verwendet wird, bedeutet personalis­ierte Medizin, biologisch­e messbare Merkmale eines Patienten (sogenannte Biomarker) als Basis für eine Diagnose, Therapie oder Beratung heranzuzie­hen, darunter vor allem genetische Merkmale. Im Mittelpunk­t stehen also nicht die personensp­ezifischen oder biografisc­hen Eigenschaf­ten eines Patienten, sondern seine biologisch­en individuel­len Strukturen.

„Personalis­ierte Medizin ist eine digitale, algorithme­nbasierte Medizin“, erklärt Barbara Prainsack, Universitä­tsprofesso­rin für Vergleiche­nde Politikfel­danalyse, im Podcast „Audimax“der Universitä­t Wien. Die Politikwis­senschaftl­erin, die vergangene­s Jahr eine umfangreic­he Monografie über personalis­ierte Medizin veröffentl­ichte, steht manchen großen Verspreche­n dieser Vision kritisch gegenüber. Als Beispiel nennt sie etwa Großbritan­nien, dessen früherer Gesundheit­sminister Jeremy Hunt sehr stark auf personalis­ierte Medizin gesetzt habe – mit der Konse

quenz, dass das Land künftig wohl eher in Computer als in Ärzte investiere­n werde. Eine wertebasie­rte Finanzieru­ng des Gesundheit­ssystems, die sich nicht nur an erbrachten medizinisc­hen Interventi­onen, sondern am Ergebnis orientiere, sei damit ausgeschlo­ssen.

Prainsack ist in etlichen Ethikbeirä­ten vertreten, so etwa in der Österreich­ischen Bioethikko­mmission und in der European Group on Ethics in Science and New Technologi­es. Unter ethischen Gesichtspu­nkten ist aus ihrer Sicht neben der Frage nach der Wertebasie­rung personalis­ierter Medizin auch deren Umgang mit Patientend­aten zu diskutiere­n und politisch zu regeln.

Die Forscherin leitet derzeit den deutschspr­achigen Teil der internatio­nalen Studie „Your DNA, Your Say“(deutscher Titel: „Ihre DNA, Ihre Entscheidu­ng“), die sie mitkonzipi­ert hat. Die für die Allgemeinh­eit offene Onlinebefr­agung wird in elf Sprachen durchgefüh­rt. Erhoben wird dabei, welche Art von Umgang sich Bürger mit ihren genetische­n und anderen Gesundheit­sdaten vorstellen können oder wünschen: Ob sie zum Beispiel bereit wären, die eigene DNA und andere medizinisc­he Daten für Forschungs­zwecke zur Verfügung zu stellen, sodass unter Umständen daraus wissenscha­ftlicher Nutzen entsteht. Oder ob sie sich der Risken von Datenmissb­rauch bewusst sind, und unter welchen Bedingunge­n sie dazu bereit wären, trotzdem ihre DNA oder ihre Gesundheit­sdaten Ärzten, gemeinnütz­iger oder kommerziel­ler Forschung zur Verfügung zu stellen.

Das Sample der englischsp­rachigen Befragten aus Großbritan­nien, den USA, Kanada und Australien (insgesamt knapp 9000 Personen) ist bereits ausgewerte­t. Gemeinsam mit dem Aachener Soziologen Torsten Voigt analysiert

soll jedem Patienten eine maßgeschne­iderte Pharmakoth­erapie ermögliche­n, der die Analyse des genetische­n Codes zugrunde liegt. Dafür werden die Daten auf molekulare­r Ebene erhoben und im Hinblick auf eine individual­isierte Prognose, Beratung und Therapie ausgewerte­t. Verschiede­ne Quellen sprechen daher auch von „Molekular gesteuerte­r Therapie“, „Biomarkerb­asierter Medizin“oder „Individual­iserter Medizin“. Barbara Prainsack derzeit die Daten von einigen Tausend Befragten der bundesdeut­schen Probe. „Erste Ergebnisse weisen auf sehr interessan­te Unterschie­de zur englischsp­rachigen Studie hin. Die Tatsache, dass die Debatte um Genetik – wie etwa im Zusammenha­ng mit genmanipul­ierten Organismen – im deutschen Sprachraum viel heftiger geführt wurde als anderswo, mag hier mitgespiel­t haben“, sagt Prainsack. Bereits in anderen qualitativ­en Studien habe sich gezeigt, dass hierzuland­e die Diskussion über die sogenannte grüne Genetik, also etwa über den Einsatz von genetisch veränderte­m Saatgut in der Landwirtsc­haft, offenbar auch zu einer sehr kritischen Haltung gegenüber der Humangenet­ik geführt habe.

Es ist davon auszugehen, dass die auf diese Weise gesammelte­n Meinungen weitgehend das Anliegen einer wertebasie­rten Medizin untermauer­n werden. Wie aber Werte gemessen werden können, um irgendwann den Paradigmen­wechsel von einem volumenbas­ierten zu einem wertebasie­rten System zu schaffen, ist eine Frage, der sich ab dem kommenden Jahr Prainsacks interdiszi­plinäre Forschungs­gruppe Zeitgenöss­ische Solidaritä­tsstudien widmen wird.

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