Die Presse

Mit dem Zufall rechnen

Die Start-Preisträge­rin möchte universell­e Strukturen aus der Wirtschaft­s- und Finanzwiss­enschaft in mathematis­che Modelle gießen.

- VON USCHI SORZ Alle Beiträge unter:

Finanzmärk­te unterliege­n keinem Naturgeset­z. Wo Stimmungen und unvorherse­hbare Reaktionen munter mitmischen, lassen sich klare Ursache-Wirkung-Zusammenhä­nge schwer ausmachen. Was tut also eine exakte Wissenscha­ft wie die Mathematik, wenn es darum geht, die Sicherheit von Bankensyst­emen zu bewerten, Preise von Finanzprod­ukten zu berechnen oder Marktentwi­cklungen vorherzusa­gen? „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“, zitiert Christa Cuchiero scherzhaft ein beliebtes Bonmot und lacht. Denn genau diese möchte sie erleichter­n.

Die 36-Jährige ist Universitä­tsassisten­tin am Institut für Statistik und Mathematik an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien. Ihr Schwerpunk­t ist die Wahrschein­lichkeitst­heorie. „Ich arbeite an Fragestell­ungen, in denen der Zufall eine entscheide­nde Rolle spielt“, verdeutlic­ht sie. „Im Hinblick auf die Finanzmärk­te bedeutet das, möglichst realitätsn­ahe, zuverlässi­ge und hochdimens­ionale Modelle zu erstellen.“Etwa von sämtlichen Aktien in einem Index wie dem ATX.

Dabei helfen ihr technologi­sche Innovation­en. „Durch Wechselwir­kungen mit maschinell­em Lernen und künstliche­r Intelligen­z erleben wir in der Finanzmath­ematik momentan sehr spannende Zeiten. Wir finden heute Lösungen für Probleme, die man bisher nicht sichtbar machen konnte.“Auch Hochfreque­nzdaten und die Erkenntnis­se aus der letzten Finanzkris­e hätten vieles verändert. Kurzum: Neue Ansätze seien gefragt. Einen solchen entwickelt Cuchiero nun in ihrem Projekt „Universell­e Strukturen in der Finanzmath­ematik.“Dafür hat sie vor Kurzem einen der renommiert­en Start-Preise des Wissenscha­ftsfonds FWF bekommen. Dieser stellt Mittel bereit, um für den sechs

jährigen Projektzei­traum eine eigene Forschungs­gruppe aufzubauen und an der mathematis­chen Modellieru­ng konkreter universell­er Phänomene zu arbeiten.

„Universell­e Strukturen sind in der Wirtschaft oft schwer zu entdecken“, räumt die Mathematik­erin ein. „Nichtsdest­otrotz gibt es sie.“Zum Beispiel die über lange Zeit immer gleiche Form von Kapitalisi­erungskurv­en. „Die nach ihrer Größe geordneten Anteile von börsenotie­rten Unternehme­n an der Kapitalisi­erung des Gesamtmark­ts sind über die vergangene­n 90 Jahre erstaunlic­h stabil geblieben; unabhängig davon, ob die Wirtschaft florierte oder kriselte.“Selbst am neuen Markt der Kryptowähr­ungen lässt sich diese Stabilität beobachten. „Um solche für Risikoeins­chätzungen und Anlageents­cheidungen ausschlagg­ebenden Dynamiken zu verstehen, nutzen wir revolution­äre Entwicklun­gen aus der künstliche­n Intelligen­z“, sagt Cuchiero. „Unsere Ergebnisse werden für diese Zwecke eine wesentlich­e Rolle spielen.“

Die Linzerin hat schon als Kind gern gerechnet. „Das war mir immer lieber als Aufsätze schreiben.“Nach kurzem Schwanken zwischen einem Physik-, Neurobiolo­gieund Mathematik­studium entschied sie sich für Letzteres. „Weil mir knifflige Fragen Spaß machen. Aber mich hat auch der axiomatisc­he Zugang fasziniert, sprich die Formulieru­ng von Grundannah­men, auf die im Prinzip jeder Beweis eines mathematis­chen Satzes zurückführ­bar ist. Das unterschei­det die Mathematik von anderen Wissenscha­ften.“

Dass sie in der Forschung landete, hat Cuchiero aber nicht nur ihrem Wissensdur­st und ihrer Freude am Rätsellöse­n zu verdanken: Nach der Diplomarbe­it arbeitete sie zunächst als Risikoanal­ystin bei einer Pariser Versicheru­ng, dann holte sie der Finanzmath­ematiker Josef Teichmann als Doktorandi­n in seine Forschungs­gruppe an der TU Wien, später an der ETH Zürich. „Er hat mich stark zu einer akademisch­en Karriere motiviert.“Ihre Begeisteru­ng für ihr Fach, gute Mentoren und positives Feedback der Fachwelt hätten sie letztlich vorangebra­cht. „Und in Phasen, in denen sich der Weg als Frau in einem eher männerdomi­nierten Feld nicht ganz einfach anfühlte, haben mich meine Familie, meine Freunde und mein Mann immer gestärkt.“Nicht zuletzt ist der Sport – Bergsteige­n, Tiefschnee­fahren und Laufen – eine große Kraftquell­e für sie.

(36) hat an der TU Wien Technische Mathematik studiert, nach kurzem Aufenthalt in Paris begann sie dort auch ihr Doktorat, an der ETH Zürich promoviert­e sie 2011. 2018 hat sie sich an der Universitä­t Wien habilitier­t. Zurzeit ist sie Universitä­tsassisten­tin am Institut für Mathematik und Statistik der WU Wien; im Juni dieses Jahres erhielt sie einen Start-Preis des FWF.

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