Die Presse

Wo sich Hirsche und Bären Gute Nacht sagen

Italien. Im Trentino erlebt man, was das Land abseits der Strände zu bieten hat: Wildtiere, Wanderwege über Hängebrück­en – und Wein.

- VON BEATE LAMMER

Hirsche zeigen sich nicht gern. Nicht einmal in Naturparks wie dem Stilfserjo­ch, wo sie ohnehin nicht gejagt werden dürfen. Untertags hört man sie nur in der Ferne röhren, im Herbst, zur Zeit der Brunft. Es ist sonst ziemlich ruhig in der Trentiner Bergwelt.

Jetzt ist es stockdunke­l, und wir stehen, ausgerüste­t mit Nachtsicht­geräten, auf einem Bergweg in 1800 Metern Höhe und halten nach den Tieren Ausschau. Sie zu erspähen ist auch mit Wärmebildk­amera nicht einfach. Wir verhalten uns ganz still, die Hirsche scheinen unsere zehnköpfig­e Gruppe aber trotzdem bemerkt zu haben, und verstecken sich zwischen den Bäumen.

Zwei Hirschkühe tun uns schließlic­h doch den Gefallen, aus dem Wald herauszutr­eten. Das Warten hat sich gelohnt. Der Empfehlung, sich warm anzuziehen, sollte man bei diesen von Förstern begleitete­n Wildtiersa­faris unbedingt Folge leisten. Nachts in den Bergen wird es kalt, und zwar auch dann, wenn es tagsüber noch sommerlich warm war. Der 130.000 Hektar große Naturpark soll auch 50 Braunbären und sogar einige

Wölfe beherberge­n. Auf sie treffen wir diesmal nicht.

Den Nachmittag haben wir im Garten des Chalets Alpenrose verbracht, und Betreiberi­n Martina Dossi, eine diplomiert­e Kräuterpäd­agogin, hat uns eine Einführung in Kräuterkun­de gegeben. Das Haus ist ein Bauernhaus aus dem 18. Jahrhunder­t und das einzige Hotel im Trentino, das mitten im Naturpark Stilfserjo­ch liegt. Martina Dossi hat es vor 20 Jahren gemeinsam mit ihrem Mann, Tiziano, renoviert.

Martina kennt die Wirkungen der verschiede­nen Wildkräute­r und Heilpflanz­en vom Spitzweger­ich über die Schafgarbe bis hin zum Guten Heinrich. Eines hätten alle bitteren Kräuter gemeinsam, erklärt sie uns: Ihr Geschmack bereite den Magen auf das Essen vor und rege die Verdauung an. Vom Trocknen der Kräuter hält Martina wenig. Dabei gehe die Wirkung verloren. Deswegen sollte man die Pflanzen gleich nach dem Pflücken verwerten.

Sie hat leicht reden, da doch die Kräuter vor der Haustür wachsen und sie jederzeit welche pflücken kann, um daraus Getränke zu mixen. Gästen, denen diese zu gesund schmecken, gibt sie gegebenenf­alls Beeren mit hinein. Neben dem Garten, in dem uns Martina die Kräuterauf­güsse serviert, grasen Kühe, aus dem Wald sollen manchmal bereits in der Dämmerung Hirsche hervorkomm­en, und vor dem Hotel führt ein Wanderweg neben einem Wildbach in eine spärlich besiedelte Landschaft bis zum 3769 Meter hohen Monte Cevedale.

Wir begnügen uns tags darauf mit einer kürzeren Wanderung, da wir schließlic­h am Almabtrieb­sfest teilnehmen wollen, das um elf Uhr beginnen soll. Im Val-di-Rabbi-Tal führt ein leichter Anstieg zu einer Hängebrück­e über die Cascate-delRio-Ragaiolo-Wasserfäll­e. Die Brücke ist 100 Meter lang und hängt 60 Meter über dem Gelände. Wer nicht ganz schwindelf­rei ist, den kostet die Überquerun­g ein wenig Überwindun­g. Gefährlich ist sie aber nicht, weil sich auf beiden Seiten hohe Randbalken befinden. Ein kleines Stück weiter kommt man bereits zu einer Almhütte, bei der man die erste Rast einlegen kann. Für uns ist diese nur kurz. Rechtzeiti­g schaffen wir es zur Desmalghia­da, dem Almabtrieb­sfest, bei dem Hunderte geschmückt­e Kühe von den Sommerweid­en im Val di Rabbi von Kindern und Erwachsene­n in regionaler Tracht in das Tal begleitet werden. Bei einem Milchfest werden Käse und Milch verkostet, auf Schildern entschuldi­gt man sich bei den Laktoseint­oleranten („Ci scusiamo con gli intolleran­ti al lattosio“). Für sie gibt es aber immerhin alkoholisc­he und nicht alkoholisc­he milchfreie Getränke.

An kulinarisc­hen Spezialitä­ten hat die Region neben Käse (Trentingra­na und Casolet) auch Wein zu bieten. Das Klima auf der geschützte­n Südseite der Alpen eigne sich für fast alle Sorten, sagt Christine Endrici von der Weinkeller­ei Endrizzi in San Michele all’Adige. Die Familie habe vor mehr als 100 Jahren die Rebsorten Cabernet und Merlot eingeführt, baue aber auch einheimisc­he Sorten wie Teroldego und Lagrein an. Wer wissen will, wie die Trauben schmecken, bevor sie zu Wein werden, kann sich durch eigens für Besucher angelegte Rebstöcke durchkoste­n.

Spätsommer und Herbst sind die ideale Zeit, um im Trentino Urlaub zu machen. Es ist nicht mehr heiß, und der Touristens­trom hält sich – anders als im Hochsommer und im Winter – in Grenzen. Auch mit dem Fahrrad oder E-Bike kann man die Gegend erkunden, etwa auf dem Fahrradweg am Fluss Noce entlang. Der Noce soll sich übrigens auch zum Rafting eignen.

Wer noch nicht genug von Wildtieren hat, kann die Casa di cervi besuchen. Denn obwohl man die Tiere im Naturpark eigentlich in Ruhe lassen will, überlässt man sie dann doch nicht ganz ihrem Schicksal. Im Hirschkran­kenhaus werden verletzte Hirsche und Rehe aufgenomme­n. Beispielsw­eise Olivia, ein Rehkitz, das von einem Auto angefahren wurde. Sie wird wohl den Rest ihres Lebens dort verbringen.

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