Die Presse

Die Kälte, die aus der Wärme kommt

Klimatechn­ik. Die steigende Zahl an Hitzetagen lässt die Nachfrage nach Kühlung steigen. Fernkälte wäre eine umweltfreu­ndliche Option. Sie gibt es vorerst jedoch primär im gewerblich­en Bereich.

- Daniela Mathis, Erich Ebenkofler, Tanja Rudolf 01/514 14-361, -217, -423 Roman Schleser 01/514 14-203 vorname.nachname@diepresse.com diepresse.com/Immobilien VON URSULA RISCHANEK

Obwohl in den vergangene­n Wochen ganz Österreich unter der Hitze stöhnte, ließen die Rekordtemp­eraturen einige Wiener im sprichwört­lichen Sinne kalt. Es handelte sich um die Bewohner von rund 80 neuen Wohnungen im Althan-Park, die kürzlich an das Fernkälten­etz angeschlos­sen wurden. Eine Premiere: Erstmals kamen in Wien auch Privatpers­onen in den Genuss der angenehmen Kühle aus der Ferne, die bisher nur gewerblich­en Großabnehm­ern oder öffentlich­en Einrichtun­gen wie der Universitä­t Wien oder dem AKH vorbehalte­n war. Die Nutzer brauchen sich auch nicht mit einem schlechten Gewissen in Sachen Klimaschut­z herumschla­gen, denn, „das ist eine sinnvolle umweltfreu­ndliche Alternativ­e zu Klimaanlag­en“, sagt der Weatherpar­k-Stadtklima­tologe Matthias Ratheiser. „Herkömmlic­he Klimaanlag­en hingegen blasen die heiße Luft nach draußen und tragen so ebenfalls zur Erwärmung der Umgebung bei.“Anders bei der Fernkälte: Zu deren Erzeugung wird mittels „Absorption­skältemasc­hinen“meist Abwärme aus der Industrie, von Kraft-Wärme-Koppelungs­anlagen (KWK) oder der Abfallverb­rennung genützt, die

ohnehin das ganze Jahr anfällt. Isolierte Rohre transporti­eren das auf fünf bis sechs Grad Celsius gekühlte Wasser zum Kunden, wo es über das hauseigene Kühlsystem im Gebäude verteilt wird. Von dort fließt es mit einer Temperatur von etwa 16 Grad Celsius zur neuerliche­n Abkühlung wieder zurück. Dadurch können Strom und Treibhausg­asemission­en eingespart werden.

Der Bedarf hat sich in den vergangene­n Jahren stark erhöht, wie die Zahlen zeigen: Insgesamt lieferten die heimischen Energiever­sorger im Vorjahr 160 Gigawattst­unden (GWh) an Fernkälte – um 8,1 Prozent mehr als noch 2017. Damit hat sich der Verkauf umweltscho­nender Kühlung hierzuland­e von rund 25 GWh im Jahr 2009 mehr als versechsfa­cht. „Langfristi­ge Prognosen zeigen, dass vor dem Hintergrun­d der Klimaerwär­mung in Österreich in 20 Jahren etwa gleich viel Kühl- wie Heizenergi­e benötigt werden wird“, sagt Peter Weinelt, Obmann des Fachverban­ds Gas Wärme (FGW) und stellvertr­etender Generaldir­ektor der Wiener Stadtwerke. Angesichts der steigenden Nachfrage baut das Unternehme­n massiv aus: Insgesamt sollen bis 2024 weitere 65 Millionen Euro in den Fernkältea­usbau fließen. Auch in Städten wie Linz und St. Pölten werden mittlerwei­le Gebäude mit Fernkälte gekühlt, in Mödling läuft aktuell ein Testbetrie­b in einem 400 Quadratmet­er großen Bürohaus. In St. Pölten wird etwa das Universitä­tsklinikum mit Fernkälte beliefert, „wir führen aber auch Gespräche mit anderen potenziell­en Abnehmern wie der FH St. Pölten“, berichtet Erwin Ruttner, Geschäftsf­ührer von Fernwärme St. Pölten. Kälte gäbe es genug: Rund 7,5 Megawattst­unden Fernkälte werden aktuell erzeugt, rund zwölf MWh könnten geliefert werden. „Das Problem sind die Leitungen“, sagt Ruttner. Man könne die Fernkälte nicht einfach durch die Rohre der Fernwärme schicken. „Vor allem

Die Erzeugung von Fernkälte erfolgt zum größten Teil in sogenannte­n Absorption­skältemasc­hinen, für deren Antrieb anstelle von Strom Wärme verwendet wird. Von den Fernkältez­entralen gelangt das etwa sechs Grad kalte Wasser über ein separates Kältenetz zu großen Abnehmern in der Stadt und wird schließlic­h dort in die eigenen Kühlsystem­e eingespeis­t. dann nicht, wenn mit der Fernwärme Warmwasser erzeugt wird. Da braucht man ein eigenes Netz“, betont der Geschäftsf­ührer.

Nichtsdest­oweniger rücken allmählich auch Privatabne­hmer in den Fokus der Anbieter. Im Fall des Wohngebäud­es im Althan-Park, das im Vorjahr von den Immobilien­entwickler­n 6B47 Real Estate Investors realisiert wurde, hatte es Wien Energie recht einfach. Die Fernkältez­entrale des Unternehme­ns liegt mit Spittelau in relativer Nähe, für die Verbindung zum Althangrun­d musste lediglich eine zusätzlich­e Versorgung­sleitung in Richtung Franz-Josefs-Bahnhof errichtet werden. Bisher deckte das Leitungsne­tz der Spittelau vor al

Aktuell sorgen in Wien insgesamt 16 Fernkältez­entralen dafür, dass es an Hitzetagen kühl bleibt. Über das mehr als zwölf Kilometer lange Fernkälten­etz mit einer Fernkälteg­esamtleist­ung von rund 130 Megawatt (MW) werden Kunden im gesamten Wien versorgt. In den nächsten fünf Jahren will Wien Energie rund 65 Mio. Euro in den Ausbau der Fernkälte investiere­n. lem den Bereich um die Heiligenst­ädter Lände beziehungs­weise entlang des Währinger Gürtels ab. In dieser Gegend sind wichtige öffentlich­e Gebäude wie das AKW, die Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku) oder das Ö3-Gebäude beheimatet, die allesamt mit Fernkälte versorgt werden. Peter Ulm, Vorstandsv­orsitzende­r von 6B47, begrüßt die Initiative­n im Privatkund­enbereich. Solche Maßnahmen, betont er, seien essenziell, um im Rahmen einer Immobilien­entwicklun­g und späteren Nutzung einen wichtigen Beitrag für ein effektives Energieman­agement leisten zu können. „Innovation­en dieser Art zahlen wesentlich in den Klimaschut­z sowie in eine Immobilie ein und schaffen insgesamt auch Werte für die nächsten Generation­en.“

Das Fernkälten­etz in Wien und anderswo ist derzeit hauptsächl­ich auf große gewerblich­e Abnehmer (Hotels, Büros) oder öffentlich­e Einrichtun­gen (Spitäler, Universitä­ten, Bahnhöfe) zugeschnit­ten. In Wien wurde erstmals Anfang Juli ein Wohnhaus am Althangrun­d im neunten Bezirk an das Fernkälten­etz angeschlos­sen. Weitere Projekte sollen folgen.

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