In diesen Fächern fehlen Ärzte
Ordinationen. Der Ärztemangel im niedergelassenen Bereich ist in Wien Realität – und wird sich verschärfen. Vor allem bei Haus-, Kinderund Frauenärzten.
1741 Ärzte mit Kassenvertrag gab es in Wien vor zehn Jahren. Mittlerweile sind es nur noch 1662. Obwohl die Bevölkerung in dieser Zeit um knapp 200.000 Menschen gewachsen und auch älter geworden ist.
Die Zahl der Mediziner ohne Kassenvertrag, also Wahlärzte, ist im selben Zeitraum von 2979 auf 3447 gestiegen. Eine Zunahme gab es sowohl bei Allgemeinmedizinern als auch bei Fachärzten. Während also der Privatsektor – auch wegen der wachsenden Gruppe an Patienten mit Zusatzversicherung – rasant wächst, können Kassenstellen oft über Monate und Jahre hinweg nicht nachbesetzt werden, weil es an Bewerbern fehlt. Betroffen sind allerdings nicht alle Fächer. Warum sind manche Bereiche beliebter als andere? Und was kann man tun, um Letztere wieder attraktiver zu machen?
1 In welchen Fächern gibt es im niedergelAssenen Bereich den größten ÄrztemAngel?
31 Kassenstellen sind derzeit in Wien unbesetzt. Davon 22 für Hausärzte und neun für Fachärzte – hier wiederum sechs Kinderund drei Frauenarztstellen. In diesen drei Fächern hat man seit Jahren die größten Nachwuchsprobleme. Gab es 2010 noch 90 Kinderärzte mit Kassenvertrag in Wien, sind es heute 85. Bei der Gynäkologie ist die Zahl an Kassenärzten in den vergangenen zehn Jahren von 109 auf 101 zurückgegangen, bei Hausärzten von 809 auf 754.
Im selben Zeitraum ist die Zahl der Augenärzte von 89 auf 90 und die der Neurologen von 56 auf 57 gestiegen. In Lungenheilkunde ist sie mit 38 gleich geblieben. De facto keine Änderungen gibt es auch in der Orthopädie, Chirurgie und HNO (siehe Grafik).
2 Wie lässt sich der MAngel in den betroffenen Fächern erklären?
Geld, Wertschätzung, Belastung – das sind im Wesentlichen die Hauptgründe, und zwar für alle drei Fächer.
Bis 2019 waren die Kassenhonorare für Kinderärzte teilweise haarsträubend niedrig, weil sie nicht wie Fach-, sondern wie Hausärzte behandelt wurden. Was auch der Grund dafür ist, dass Kinderheilkunde trotz der hohen Verantwortung und der harten Ausbildung – ein Kinderarzt muss schließlich alles können und kann sich nicht auf ein Gebiet wie etwa Kardiologie spezialisieren – nicht zu den prestigeträchtigsten Fächern gehört. Nicht zuletzt ist der Alltag von Kinderärzten ausgesprochen anspruchsvoll und fordernd, da sie neben den Patienten, die sich nachvollziehbarerweise oft nicht ausreichend artikulieren können, auch ihre teilweise überbesorgten bzw. überfürsorglichen Eltern betreuen müssen. Ein weiteres, nicht zu vernachlässigendes Motiv: Kinderärzte wollen zumeist selbst Kinder, in Kassenverträgen gibt es aber keine Elternkarenz.
Ähnlich sieht die Situation bei Gynäkologen aus. Zur schlechten Bezahlung (weil viele Untersuchungen schlichtweg keine Kassenleistungen sind, so wird etwa der gynäkologische Ultraschall erst seit Anfang Juli 2019 bezahlt), wenig Prestige innerhalb der Ärzteschaft und extrem hoher Verantwortung (etwa bei Geburten, weswegen viele keine Geburtshilfe anbieten, der Krebsvorsorge etc.) wird zunehmend ein weiterer Grund genannt, der Gynäkologie zum Mangelfach gemacht hat: Viele Frauen mit Migrationshintergrund sprechen nicht gut genug Deutsch und werden von ihren Kindern oder Ehemännern begleitet – Missverständnisse und kulturelle Barrieren inklusive, die sehr zeitintensiv sein können. Gynäkologie gilt zudem hinsichtlich Wissenschaft und Forschung zu den weniger attraktiven Fächern.
Das Hauptmotiv von Medizinabsolventen, Hausarzt zu werden, ist eine über Jahrzehnte andauernde, ganzheitliche und persönliche Betreuung ihrer Patienten, die auf intensiven Gesprächen basiert. Dieses ArztPatienten-Verhältnis, von Hausärzten gern auch „Zuwendungsmedizin“genannt, wird von der Gebietskrankenkasse geradezu torpediert, indem Gespräche extrem schlecht honoriert werden. Zur Verdeutlichung: Im Schnitt wird ein Hausarzt von einem Patienten 3,2 Mal pro Quartal aufgesucht. Für den ersten Besuch bekommt er (pauschal, brutto) 17 Euro, der zweite ist kostenlos, ab dem dritten Besuch gibt es wieder sechs Euro.
Bis vor Kurzem gab es für den zweiten und dritten Besuch gar kein Geld, erst ab dem vierten durften wieder sechs Euro verrechnet werden. Es ist also nicht verwunderlich, dass viele Hausärzte in den Privatsektor oder ins benachbarte Ausland gehen, wo es keine Deckelungen gibt, sie mehr als das Doppelte verdienen können und gleichzeitig ihren Patienten mehr Zeit widmen können.
3 WAs kAnn getAn werden, um diese Fächer wieder AttrAktiver zu mAchen?
Die mit Anfang des Jahres erfolgte Erhöhung der Honorare für Haus- und Kinderärzte (drei Jahre lang um jeweils zehn Prozent), die Ausweitung der Kassenleistungen bei Gynäkologen mit Juli und die künftige Möglichkeit der Anstellung von Ärzten durch Ärzte waren ein Anfang und haben diese Fächer deutlich aufgewertet.
Was es aber für eine nachhaltige Lösung braucht, ist eine grundlegende Reform des Honorierungssystems, das veraltet und alles andere aus ausgewogen und fair ist, weil es vom Verhandlungsgeschick einzelner Interessengruppen abhängt. Eine solche Reform würde auch bedeuten, dass Honorare in manchen Fächern gekürzt werden, um sie in anderen erhöhen zu können.
Und vor allem braucht es eine Finanzierung aus einem Topf für den niedergelassenen und den ambulanten Spitalsbereich. Dann hätte die Krankenkasse kein Interesse daran, ihre Patienten in die Spitäler auszulagern, weil diese durch die Länder mitfinanziert werden – und könnte daher beispielsweise auf Honorardeckelungen verzichten.
Spitäler wiederum müssten keine unnötigen Überweisungen zu niedergelassenen Fachärzten ausstellen, weil sie kein Geld mehr haben. Im Mittelpunkt stünde der Patient, nicht das System.