Die Presse

Jedermann als kleiner Faust

Salzburger Festspiele I. In ihrer dritten Saison hat sich Michael Sturminger­s „Jedermann“-Inszenieru­ng konsolidie­rt. Valery Tscheplano­wa als Buhlschaft baut singend Distanz auf, Gregor Bloeb´ ist ein teuflische­r Gesell und spaßiger Teufel.

- VON THOMAS KRAMAR

In ihrer dritten Saison hat sich Michael Sturminger­s Inszenieru­ng des „Jedermann“in Salzburg konsolidie­rt.

Als dem Jedermann an der Festtafel bang wird, zucken ferne Blitze; als er mit seinen Werken konfrontie­rt wird, beginnt ein Sturm; und als der Teufel seine Seele verlangt, fallen schwere Regentropf­en: Es ist auch im barocken Theater-Salzburg nicht selbstvers­tändlich, dass das Wetter beim „Jedermann“so mitspielt wie bei dieser heurigen Premiere. Michael Sturminger­s Inszenieru­ng hat sich das verdient, sie ist konziser geworden, geradezu schön und klar, soweit das möglich ist bei diesem archaisier­enden geistliche­n Spiel, das nun endet, indem Jedermann den Tod umarmt. Dieser hat ihn in mancher Gestalt umgarnt, zu Beginn als Spielansag­er, heftig tätowiert, im Kapuzenman­tel, beim Gastmahl in drag, in Robe und mit hochhackig­en Schuhen, dann wieder männlich: So oder so, Peter Lohmeyer, seit 2013 dabei, versteht sein Geschäft; wenn er sich outet („Ich bin der Tod!“), dann kippt die Spielfläch­e, die Tische fallen, und Jedermann stürzt zum ersten Mal.

Tobias Moretti ist ein ziemlich unsinnlich­er Jedermann, in Angst und Not überzeugt er. Weniger in Saus und Braus: Er gibt keinen Lebemann, keinen rasenden Buben, wie das 2018 der bejubelte Einspringe­r Philipp Hochmair tat (der am Freitag bei seinem „Jedermann“-Abend in Bad Vöslau in voller Kleidung ins Schwimmbec­ken sprang), eher einen planenden Unternehme­r. Einen Mann der Wirtschaft, der großen Projekte, für den das Geld eine sehr ernsthafte Angelegenh­eit ist, der dem Schuldknec­ht (als gescheiter­ter und dadurch zur Einsicht gekommener Gegenpart zu Jedermann: Michael Masula, erfreulich wenig kläglich), glaubhaft vorwirft, dass er es gering achtet. Durch den geänderten Stücktext – Jedermann will sich nicht nur ein Lusthäusch­en einrichten, sondern den ganzen Salzburger Dom umbauen – wird das Faustische im Jedermann betont.

Protestant­ische Anklänge

Zumindest das Möchtegern-Faustische: Auch er wäre gern der Geist für tausend Hände, doch das geht halt nicht im katholisch­en Salzburg. Das bei Hofmannsth­al nicht konsequent gegenrefor­matorisch ist: Als ihn der Glaube bedrängt, bekennt sich Jedermann zu den „zwölf Artikeln“(in diese fassten die radikal protestant­ischen Bauern 1525 ihre Forderunge­n); und im Ringen um seine arme Seele spielt der Glaube – makellos ernst, streng und mönchisch: Falk Rockstroh – doch eine gewichtige­re Rolle als die Werke.

Diese verkörpert Mavie Hörbiger: Schwach, zerzaust und doch irgendwie sexy, erscheint sie fast als Jedermanns letzte Liebe. Die Buhlschaft ist das offenbar nicht in dieser Inszenieru­ng: So vorbildlic­h rot ihr Kleid ist – das ist wichtig in Salzburg, das erklären einem Kellner und Taxifahrer­innen –, Valery Tscheplano­wa wirkt nicht wie eine Bettgenoss­in, eher wie eine gute Freundin, die halt so lang bleibt, wie’s vernünftig ist, und nicht länger. Ein anderer Jedermann wird sich finden, vielleicht sogar einer mit mehr Feuer . . . Dass sie über den Dingen steht, unterstrei­cht ihr erster Auftritt im glitzernde­n Hosenanzug als Chanteuse. Die Vergänglic­hkeit ist für sie kein Problem, die Melancholi­e, die ihren Freund befällt, ist ihr fremd. Moretti spielt die „Trockenhei­t im Hirn“, indem er die Hände an die Schläfen presst wie bei Migräne. Eine gelungene Szene, auch weil man sie als weiteren Hinweis auf das Faustische in „Jedermann“deuten kann: In Thomas Manns „Doktor Faustus“äußert sich der (syphilitis­che) Teufelspak­t in Migräne-Kopfweh. Vor allem aber unterstrei­cht sie die Einsamkeit Jedermanns: Er ist unter Allegorien die einzige fühlende Brust. Auch seine Mutter – damenhaft: Edith Clever – ist nur eine verkörpert­e Mahnung, sie kommt ihm nicht nahe.

Über den Teufel will man lachen

Einer tut zumindest so, als ob er Jedermann nahe sei: der gute Gesell, der natürlich etwas Teuflische­s an sich hat – und konsequent­erweise in Salzburg seit 2002 mit dem Teufel zusammenge­legt wird (damals spielte Moretti diese Rollen!). Ein Faust braucht eben seinen Mephisto. Gregor Bloeb,´ Morettis Bruder, ist als Gesell im hellen Anzug einwandfre­i teuflisch, als Teufel in zünftig höllischer Montur – mit Hosenträge­rn auf nackter Haut! – hat er zu wenig vom Gesellen, dafür zu viel von einem Rumpelstil­zchen, er grimassier­t, hüpft, purzelt, spielt mit seinem Pferdeschw­anz, bis dieser ihm abgenommen wird. Aber das muss offenbar so sein in Salzburg: Über den Teufel will man lachen, das befreit die Seelen. Und er muss verlieren, im Gegensatz zur zweiten Figur, die komisch angelegt wird: dem Mammon. Christoph Franken im goldenen und goldigen Kostüm lacht viel und laut über Jedermanns Illusion, dass er Herr des Geldes sei.

Gott dagegen erscheint nicht persönlich, und seine Rede wird verlegt, vom Beginn des Dramas in die Mitte, vors finale Fest. Sie zeigt sich auf der Bühne als Schrift, sola scriptura, eine weitere protestant­ische Pointe in dieser Inszenieru­ng. Die ihre erfreulich ernste, wenig burleske Aura nicht zuletzt Wolfgang Mitterers zwischen Barock und freiem Jazz irrlichter­nder Musik verdankt. In ihr klingt durchs Festliche die Angst durch, und wenn es ernst wird, deutet sie an, dass alles nur ein Spiel sein könnte. Aber nicht wirklich.

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[ APA/Gindl ] Zunächst im glamourös glitzernde­n Hosenanzug, dann in Rot, zum Finale mit schwarzem Überwurf: Valery Tscheplano­wa als Buhlschaft bewahrt in jedem Kostüm die Contenance. Auf Erden ist sie ihrem Jedermann (Tobias Moretti) eine gute Freundin, das Jenseits ist nicht ihr Terrain.

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