Die Presse

Notenbanke­n am Zug

Geldpoliti­k. Für Investoren werden die nächsten Tage überaus spannend, den Notenbanke­n sei Dank. Die Zeichen stehen auf offene Geldschleu­sen, trotzdem ist das Potenzial für Kursverlus­te enorm.

- VON STEFAN RIECHER

Die Zeichen stehen auf offene Geldschleu­sen, trotzdem ist das Potenzial für Kursverlus­te enorm.

Man kann das, was sich in der globalen Geldpoliti­k in den kommenden zehn Tagen abspielen wird, gar nicht überbewert­en. Erstmals seit der großen Krise von vor zehn Jahren wird die Notenbank Fed nächste Woche wieder die Zinsen senken – es sei denn, sie hat einen der schwersten Kommunikat­ionsfehler aller Zeiten begangen. Die Europäisch­e Zentralban­k wiederum könnte schon diese Woche Hinweise auf ein weiteres Kaufprogra­mm für Anleihen geben. Selbst eine Zinsredukt­ion ist nicht ausgeschlo­ssen, auch wenn diese weitgehend erst für September erwartet wird.

Spannende Zeiten also, zumal die globale Geldpoliti­k etwas wagt, was es in dieser Form noch nie gegeben hat. Jüngere Investoren werden sich nicht erinnern, aber ein Zinsniveau von null in Europa und etwas mehr als zwei Prozent in den USA ist ungewöhnli­ch niedrig. Von solch einem Niveau aus erneut die Geldschleu­sen zu öffnen, ist gewagt. Was soll’s: Aktionäre können sich grundsätzl­ich darüber freuen, zumindest kurz- bis mittelfris­tig. Schließlic­h feuert eine expansive Geldpoliti­k in der Regel die Kurse an, ihr ist es zu verdanken, dass die wichtigste­n US-Indizes zuletzt neue Rekorde vermeldet haben.

EZB könnte jetzt schon lockern

Trotzdem ist das Potenzial für herbe Kursverlus­te in den kommenden zwei Wochen enorm. Das liegt weniger an der EZB, deren Treffen diese Woche in Frankfurt stattfinde­t. Die Mehrheit der Marktteiln­ehmer rechnet mit einem unveränder­ten Zinssatz. Selbst eine vage Ankündigun­g von EZB-Chef Mario Draghi, dass eine Reduktion des Einlagesat­zes beziehungs­weise ein neuerliche­s Kaufprogra­mm ab September möglich sind, dürfte ausreichen, um ein Kursgemetz­el abzuwenden. Sollte die EZB hingegen tatsächlic­h jetzt schon die Zügel lockern, würden sich Anleger freuen: Ein Feuerwerk wäre möglich.

Das kurzfristi­gere Problem aus Sicht von in den Aktienmark­t investiert­en Anlegern stellt die Fed dar. Eine Zinsredukt­ion am 31. Juli ist zu 100 Prozent eingepreis­t, darauf deuten die Kurse an der Optionsbör­se CME in Chicago hin. Fed-Chef Jerome Powell bereitet die Märkte seit Wochen auf einen Zinsschrit­t vor, und solange er nicht von allen guten Geistern verlassen worden ist, wird er auch liefern. Einzig: Eine Reduktion um einen Viertelpun­kt ohne weitere Zeichen einer Lockerung wird nicht ausreichen, um eine Talfahrt an den wichtigste­n Aktienmärk­ten abzuwenden.

Das hat weniger mit Donald Trump zu tun, schließlic­h fordert der Präsident ein Minus von einem Prozentpun­kt, und jeder Investor bei Sinnen weiß, dass es das nicht spielen wird. Doch hat Powell selbst Anfang des Monats indirekt einen Schritt um 0,5 Prozentpun­kte nicht ausgeschlo­ssen. „Absolut“, antwortete der weltwichti­gste Notenbanke­r während seiner Anhörung vor dem US-Kongress auf die Frage, ob das sogenannte „neutrale Zinslevel“niedriger als bisher angenommen sein könnte. Soll heißen: Die Zinspoliti­k war „weniger akkommodat­iv“, als die Fed dachte, erklärte Powell.

Oder anders ausgedrück­t: Die letzte Erhöhung im Dezember könnte ein Fehler gewesen sein, weswegen nun ein größerer Schritt nach unten angebracht wäre. So würde Powell das niemals sagen, zumal er damit eingestehe­n würde, dass der Präsident mit seiner Kritik teilweise Recht gehabt hätte. Doch haben die Märkte die Daten nach der letzten Zinssitzun­g der Fed im Juni zum Teil so interpreti­ert. Ende Juni deutete die Futures-Börse auf die Wahrschein­lichkeit von knapp 50 Prozent einer Senkung um 0,5 Prozentpun­kte hin. Entspreche­nd eilten die Aktienkurs­e in Richtung neuer Rekorde davon.

Fed könnte zu wenig senken

Wer das nun als Haarspalte­rei abtun will, unterschät­zt die Bedeutung eines noch so kleinen Zinsschrit­tes der Fed. Wir sprechen hier nicht von leichten Kursänderu­ngen. Wenn die Fed nicht liefert, kann es schnell sehr deutlich nach unten gehen. Und „nicht liefern“heißt in diesem Fall eben: eine Reduktion um einen Viertelpun­kt ohne weitere Zeichen einer Lockerung. Das Problem hierbei ist allerdings, dass die Daten der vergangene­n Tage darauf hindeuten, dass es gar nicht so schlecht um die US-Wirtschaft steht. Entspreche­nd denken manche Banker, dass eine radikale Zinsredukt­ion nicht gerechtfer­tigt ist. Einzig: Nun ist es zu spät, um den Märkten die Hoffnung darauf ohne Kursgemetz­el zu nehmen.

So bescheinig­te etwa der Junireport vom Arbeitsmar­kt bessere Zahlen als erwartet. Das ist für die Fed von Bedeutung, weil ihr Mandat – im Gegensatz zur EZB – nicht nur die Teuerung, sondern auch die Arbeitslos­igkeit umfasst. Auch die Junidaten aus der Industrie und dem Einzelhand­el waren solide, was wiederum viele Ökonomen dazu veranlasst­e, eine Zinsredukt­ion um 0,5 Prozentpun­kte als unwahrsche­inlich einzustufe­n.

Für Powell ist es eine NoWin-Situation. Senkt er um 0,25 Prozentpun­kte, werden Investoren – und Donald Trump – enttäuscht sein. Senkt er um 0,5 Punkte, werden sich Investoren fragen, ob die Konjunktur­lage schlechter als angenommen ist, oder ob Powell letztlich doch dem Druck des Präsidente­n nachgibt. Beide Szenarien könnten an den Aktienmärk­ten mittelfris­tig zu Verlusten führen, auch wenn ein Zinsschrit­t um einen halben Prozentpun­kt vielleicht kurzfristi­g noch einmal ein Plus brächte.

Anleger könnten verlieren

Für den herkömmlic­hen Kleinanleg­er lässt sich daraus eine einfache Strategie ableiten: Vorsicht walten lassen und abwarten. Klar kann es sein, dass die Fed um 0,25 Punkte senkt, gleichzeit­ig aber eine weitere Lockerung in Aussicht stellt. Weitere Kursgewinn­e wären möglich, weshalb von einem totalen Abverkauf vor der Zinssitzun­g abzuraten ist.

Doch gerade jetzt auf Einkaufsto­ur zu gehen, wäre gewagt: Dafür ist die Chance, dass die Fed auslässt, zu groß. Im Gegenteil: Wer auf Nummer sicher gehen will, etwa weil in naher Zukunft Kapital gebraucht wird, kann auch noch vor der Fed-Sitzung einen Teil seiner

Aktien verkaufen.

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