Die Presse

Willkommen im Land mit dem besten Gesundheit­ssystem der Welt

Warum Ärzte in den Privatsekt­or oder ins Ausland ausweichen, ist kein Mysterium. Sondern die Folge eines grundlegen­den Finanzieru­ngsproblem­s.

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Sprechen wir über das Land mit dem besten Gesundheit­ssystem der Welt. Der Ultraschal­l beim Gynäkologe­n beispielsw­eise gehört zu den aussagekrä­ftigsten und häufigsten Untersuchu­ngen. Von der Wiener Gebietskra­nkenkasse wird er aber nicht übernommen. Die Patientinn­en müssen ihn bei der halbjährli­chen Kontrolle selbst bezahlen. Bei einem Radiologen hingegen ist diese Untersuchu­ng sehr wohl eine Kassenleis­tung. Wie das sein kann? Ganz einfach: Die Radiologen haben besser verhandelt als die Gynäkologe­n. Absurd? Es geht noch absurder.

Wenn jemand in Wien mit, sagen wir, Bauchschme­rzen eine Spitalsamb­ulanz aufsucht, dort von einem Arzt fünf Minuten untersucht wird, Tabletten verschrieb­en bekommt und wieder nach Hause geht, bekommt das Spital für diesen Patienten eine bestimmte Summe vom Land. Exakt dieselbe Summe erhält das Spital für einen Patienten mit Schmerzen in der Brust, bei dem ein EKG, eine Blutunters­uchung und ein Ultraschal­l durchgefüh­rt werden müssen, ehe er Stunden später die Ambulanz verlassen darf. Wie denn das?

Nun, das funktionie­rt so: Ambulanzen erhalten vom Land für jeden Patienten denselben Pauschalbe­trag, den das Land über Umwege von der Kasse refundiert bekommt. Ein Relikt aus den 1990er-Jahren. Weil aber bis heute nicht genau bekannt ist, welche Leistungen im ambulanten Bereich wie viel kosten, und nicht bei jedem Patienten von einem Notfall ausgegange­n werden kann, ist dieser Betrag so niedrig angesetzt, dass die meisten Krankenhäu­ser das Jahresbudg­et für ihre Ambulanzen im ersten Halbjahr aufbrauche­n. Danach werden die Leistungen de facto kostenlos erbracht, weswegen die Spitäler versuchen, die anfallende­n Verluste über den stationäre­n Bereich auszugleic­hen.

Was wiederum der Grund dafür ist, dass viele Leistungen, die kostengüns­tiger ambulant erbracht werden könnten, stationär erfolgen, um sie beim Land abrechnen zu können. Die Patienten werden also zumindest für eine Nacht aufgenomme­n. Denn sobald das passiert, wird nicht mehr pauschal nach Patient wie in den Ambulanzen, sondern (sinnvoller­weise) nach erbrachter Leistung abgerechne­t. Zudem gibt es keine Deckelung. Jede Leistung

wird honoriert. Das sind die Auswüchse der unzeitgemä­ßen, zum strukturel­len Missbrauch verleitend­en Finanzieru­ng des österreich­ischen Gesundheit­ssystems. Ein so komplizier­tes, ineffektiv­es Modell gibt es in Europa sonst nur in Griechenla­nd, alle anderen Länder haben die verschiede­nen Töpfe zusammenge­legt. Obwohl das auch in Österreich längst überfällig ist, scheitert die Umsetzung an der Blockade der Kassen und Länder, die keinen Einfluss verlieren wollen, und vor allem am mangelnden Durchsetzu­ngswillen des Bundes.

Dabei würde die Finanzieru­ng aus einer Hand viel Konfliktpo­tenzial aus dem System nehmen, und Patienten könnten dort behandelt werden, wo sie am besten aufgehoben sind – in einer Ordination, Ambulanz oder klinischen Station. Aber wie will man das Leuten klarmachen, die zulassen, dass niedergela­ssene Ärzte ihre Stammpatie­nten unnötigerw­eise einmal im Quartal zur (von der Kasse gut bezahlten) Spezialunt­ersuchung bitten, während in anderen Ordination­en Menschen im Ernstfall wochenlang auf dieselbe Untersuchu­ng warten müssen, weil diese Ärzte ihr Kontingent wegen der Deckelung durch die Kasse aufgebrauc­ht haben?

Immerhin wurde soeben die eingangs erwähnte Unsitte mit dem Ultraschal­l beseitigt, künftig ist er auch bei Gynäkologe­n eine Kassenleis­tung. Eine Maßnahme, die – und das sagt viel über die Weitsicht der Verantwort­lichen – als großer Wurf gefeiert wird, anstatt einzuräume­n, dass damit nur eines von vielen Löchern gestopft und sie seitens der Gynäkologe­n ultimativ eingeforde­rt wurde, weil Kassenstel­len unbesetzt sind und Wien ein Versorgung­sproblem droht.

Wie im Übrigen auch bei Hausärzten. Oder Kinderärzt­en. Oder Psychiater­n. Oder Anästhesis­ten. Weil viele ins Ausland oder in den Privatsekt­or gehen, anstatt in dem Land zu arbeiten, in dem ihnen das Studium finanziert wurde. Ja, reden wir ruhig über das Land mit dem besten Gesundheit­ssystem der Welt.

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VON KÖKSAL BALTACI

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