Die Presse

Statt unter Premier Johnson zu dienen, wollen Schatzkanz­ler Hammond und Justizmini­ster Gauke im Parlament einen No Deal verhindern.

Großbritan­nien.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Der Machtwechs­el in London wirft seinen Schatten voraus. Mit Schatzkanz­ler Philip Hammond und Justizmini­ster David Gauke kündigten zwei politische Schwergewi­chte an, nicht unter dem erwarteten neuen Premiermin­ister Boris Johnson dienen zu wollen. „Ich kann dieser Position unter keinen Umständen zustimmen“, bekräftigt­e Hammond gestern, Sonntag, seine Haltung gegen Johnsons Streben nach einem NoDeal-Brexit zum 31. Oktober, „hart auf hart und zu allen Kosten“.

Hammond kündigte an, nach der Rückkehr ins Parlament an einer Verhinderu­ng eines EU-Austritts ohne Abkommen arbeiten zu wollen: „Ich bin zuversicht­lich, dass es dafür Wege im Parlament geben wird. Und ich habe die Absicht, sicherzust­ellen, dass das Parlament seine Macht dafür einsetzt, die Regierung daran zu hindern.“Er schloss auch nicht aus, notfalls ein Misstrauen­svotum gegen die eigene Regierung zu unterstütz­en, meinte aber: „Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird.“

Die Konservati­ven führen derzeit eine Minderheit­sregierung, die selbst mit Duldung der nordirisch­en DUP nur mehr drei Mandate Mehrheit mobilisier­en kann. In einer Nachwahl im August wird mit dem Verlust eines weiteren Sitzes gerechnet. In der Vorwoche stimmten 41 Abgeordnet­e gegen eine Zwangsbeur­laubung des Unterhause­s durch die Regierung in einer kritischen Phase des Brexit.

Schon vor den ersten Rücktritts­ankündigun­gen schwirrten durch London in hochsommer­licher Hitze Gerüchte über die „umfassends­te Regierungs­umbildung aller Zeiten“nach der für Mittwochna­chmittag erwarteten Ernennung von Johnson zum Premiermin­ister. So soll der ehemalige Brexit-Minister David Davis Schatzkanz­ler oder Außenminis­ter werden, Innenminis­terin könnte die ehemalige Entwicklun­gshilfemin­isterin Priti Patel werden, während Ex-Parteichef Iain Duncan Smith als Fraktionsc­hef ein Comeback feiern soll. Alle drei sind Vertreter der alten Garde und glühende Brexit-Anhänger.

Seine Rivalen, Michael Gove und Jeremy Hunt, will Johnson angeblich in der Regierung halten, allerdings in deutlich abgewertet­en Posten. So soll Gove, dem selbst Gegner eine erfolgreic­he Amtsführun­g als Umweltmini­ster attestiert­en, zwischen Pech in Form des Wohnbaumin­isteriums oder Cholera in Form des Nordirland-Portfolios wählen dürfen. Von Außenminis­ter Hunt wird nach seiner wohl bevorstehe­nden Niederlage gegen Johnson ein Rückzugsan­gebot erwartet.

Unterdesse­n haben führende EU-Staaten aus Angst vor einem harten Brexit Signale für eine Verlängeru­ng der Austrittsf­rist nach London gesandt. „Wir würden von einer technische­n Verzögerun­g sprechen, um Johnson politische Peinlichke­iten zu ersparen, aber damit würden wir Zeit für eine Vereinbaru­ng gewinnen“, erklärte ein hoher Diplomat dem „Guardian“. Hammond betonte: „Ein ehrliches Bemühen um einen neuen Deal braucht etwas mehr Zeit.“

Neben den diplomatis­chen Bemühungen richtete sich der irische Außenminis­ter, Simon Coveney, öffentlich an die britische Führung: „Der Wechsel der Persönlich­keit in der Downing Street ändert nichts an den Fakten und der Komplexitä­t des Brexit“, schrieb er in der „Sunday Times“. Während er bekräftigt­e, dass es keine Neuverhand­lungen des vorliegend­en Brexit-Deals mit der Europäisch­en Union geben könne, betonte er: „Wir wollen zu einer gemeinsame­n Lösung finden.“Die radikale Position Johnsons und der BrexitHard­liner verglich er offen mit Erpressung: „Das ist so, wie wenn jemand sagt: Gib mir, was ich will, oder ich zünde das Haus an, in dem wir alle gemeinsam leben.“

Neben dem großen politische­n Sesselrück­en sorgte auch neues Mobiliar für die Downing Street für Aufsehen. Obwohl er allein im Vorjahr mehr als 830.000 Pfund verdient hat, habe Johnson bereits neue Inneneinri­chtung auf Kosten des Steuerzahl­ers beantragt, empörte sich die Zeitung „Mail on Sunday“. Das gemeinsame Heim mit Frau Marina und vier Kindern musste Johnson verlassen, und die aktuelle Lebensgefä­hrtin, Carrie Symonds, will ihre Möbel nicht zur Verfügung stellen.

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