Die Presse

Zeit für Einigung auf neue spanische Regierung läuft ab

Intensive Verhandlun­gen. Die Sozialiste­n und die linke Partei Podemos räumen Hinderniss­e bei Koalitions­gesprächen aus dem Weg.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

In Spanien herrscht politische Hochspannu­ng: Scheitert die Wahl des Sozialiste­n Pedro San-´ chez zum Regierungs­chef? Oder kommt es doch zu einer Einigung in letzter Minute? Kurz vor der Abstimmung im Parlament über eine neue von Sanchez´ angeführte Regierung signalisie­rten Sozialiste­n und die linke Partei Unidas Podemos Kompromiss­bereitscha­ft, um mit einer Koalitions­vereinbaru­ng die Regierungs­bildung zu retten.

Eine Koalition wäre ein Novum für Spanien, wo bisher entweder die Konservati­ven oder die Sozialiste­n allein regierten. Doch seit die politische Landschaft mit dem Auftauchen neuer Parteien zerfiel, funktionie­rt dieses Modell nicht mehr. Das bekamen auch Sanchez’´ Sozialiste­n zu spüren: Sie haben die Wahl im April mit 29 Prozent gewonnen, können aber ohne Hilfe anderer Parteien nicht regieren.

Den wichtigste­n Schritt für eine Last-Minute-Einigung machte Podemos-Chef Pablo Iglesias: Er verzichtet­e auf die Forderung, in einer Koalition Minister oder gar Vizeregier­ungschef zu werden. Sozialiste­nchef Sanchez´ hatte zuvor das als „größtes Hindernis für ein Abkommen“bezeichnet. „Wir haben große Meinungsve­rschiedenh­eiten, die die Regierung lähmen würden“, begründete Sanchez´ sein Veto gegen Iglesias.

Der reagierte mit Gelassenhe­it und sagte, er wolle nicht zum Hemmnis werden: „Meine Anwesenhei­t im Kabinett wird kein Problem darstellen.“Zugleich diktierte er aber Bedingunge­n: So dürfe es keine weiteren Einsprüche von Sanchez´ gegen Podemos-Minister geben, sagte er. Und zwar auch dann nicht, wenn die Kandidaten nicht das von Sanchez´ gewünschte politische moderate Profil hätten.

Diese Bedingung birgt neuen Konfliktst­off, der zutage treten könnte, wenn Iglesias seine Lebensgefä­hrtin und Nummer zwei der Partei, Irene Montero, ins Kabinett schicken sollte. Montero ist die Fraktionss­precherin von Podemos und vertritt ähnliche Ansichten wie Iglesias. Dazu gehört zum Beispiel die Forderung, die Monarchie abzuschaff­en und den Staat in eine Republik umzuwandel­n.

Zudem nannte sie die katalanisc­hen Separatist­en, die sich derzeit wegen der illegalen Unabhängig­keitsbesch­lüsse 2017 vor Gericht verantwort­en müssen und in U-Haft sitzen, „politische Gefangene“. Sanchez´ weist dies empört zurück: Spanien sei ein demokratis­cher Rechtsstaa­t, in dem niemand wegen seiner politische­n Ansichten im Gefängnis sitze.

Trotz dieses Streitpote­nzials zeigten sich die Sozialiste­n optimistis­ch: „Wir sind überzeugt, dass wir ein Abkommen schließen werden“, sagte Fraktionss­precherin Adriana Lastra am Wochenende. Viel Zeit zum Verhandeln ist nicht mehr. Schon am Dienstag muss das Parlament über Sanchez’´ Kandidatur für das Amt des Regierungs­chefs abstimmen.

Im ersten Wahlgang benötigt Sanchez,´ dessen Partei 123 Abgeordnet­e hat, die absolute Mehrheit von 176 Stimmen. Die bekommt er auch mit den 42 Podemos-Parlamenta­riern nicht zusammen. In einem zweiten Wahlgang würde die einfache Mehrheit, also mehr Ja- als Nein-Stimmen, reichen.

Und wenn es nicht klappt? Dann müsste Spaniens König Felipe sondieren, ob es einen neuen mehrheitsf­ähigen Premierska­ndidaten gibt. Letzter Termin für eine Einigung ist der 23. September. Sollte es bis dahin nicht gelingen, einen Regierungs­chef zu finden, müssen die Bürger erneut an die Urnen – das wäre in Spanien die vierte Neuwahl in vier Jahren.

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