Die Presse

Konsensual­e Lösung, im Streitfall durchsetzb­ar

Streitbeil­egung. Ab August liegt in Singapur ein auch in Wien verhandelt­es neues Übereinkom­men zur Unterschri­ft auf. In Wirtschaft­sstreitigk­eiten erzielte Vergleiche können auf dieser Grundlage internatio­nal durchgeset­zt werden.

- VON GEORG ADLER UND ANNE-KARIN GRILL Dr. Georg Adler, MSc (Oxford) ist Rechtsanwa­lt bei Wilmer Cutler Pickering Hale and Dorr LLP in London, Mag. Anne-Karin Grill, M.A. (Georgetown) ist Partnerin bei Vavrovsky Heine Marth Rechtsanwä­lte in Wien.

Das Instrument­arium für die Beilegung internatio­naler Wirtschaft­sstreitigk­eiten wird verbessert. Im August wird in Singapur das im Rahmen der UN-Kommission für internatio­nales Handelsrec­ht (Uncitral) verhandelt­e Übereinkom­men über die Vollstreck­ung internatio­naler Mediations­vergleiche zur Unterschri­ft aufliegen. Mit Inkrafttre­ten dieses „Singapurer Übereinkom­mens“werden im Verhandlun­gsweg erzielte Einigungen (Mediations­vergleiche) internatio­nal vollstreck­bar. Die Dynamik in der profession­ellen Streitbeil­egung wird sich dadurch merklich ändern. Konsensual­e Ansätze werden zunehmend auch in konfrontat­ive Auseinande­rsetzungen integriert werden, die Streitpart­eien werden von erhebliche­r Zeitund Kostenersp­arnis profitiere­n.

Der Ansatz, verschiede­ne Streitbeil­egungsmeth­oden in ein und demselben Prozess zu kombiniere­n, ist nicht neu. Streitbeil­egungsklau­seln in internatio­nalen Verträgen werden zunehmend „eskalieren­d“formuliert: Die Streitbeil­egung beginnt regelmäßig mit Parteienge­sprächen zur gütlichen Einigung, führt dann über drittunter­stützte Vergleichs­verhandlun­gen (Mediation) und mündet zuletzt – wenn alle konsensual­en Versuche gescheiter­t sind – in der Entscheidu­ng durch parteierna­nnte Dritte (Schiedsver­fahren). Dennoch werden Schiedsger­ichtsbarke­it und Mediation in der Praxis weitgehend noch als konkurrier­end und nicht als synergetis­ch angesehen.

Im Gegensatz zum Schiedsver­fahren (Arbitratio­n), in dem die Entscheidu­ng von außen durch das Schiedsric­htergremiu­m erfolgt, handelt es sich bei der Mediation um „optimieren­de“Vergleichs­verhandlun­gen, die mit der Unterstütz­ung eines neutralen Dritten geführt werden. Die in der Mediation erzielte Einigung beruht allein auf dem Willen der Streitpart­eien. Der Mediator spielt eine entscheide­nde Rolle, indem er die Parteien bei der Überwindun­g vermeintli­cher (Kommunikat­ions-)Hinderniss­e unterstütz­t und nach Möglichkei­t neue Perspektiv­en fördert.

Die Kombinatio­n von Schiedsger­ichtsbarke­it und Mediation birgt das Potenzial, beide Methoden zu stärken und zu nachhaltig­eren Ergebnisse­n zu führen. Hybride Verfahren veranlasse­n die Parteien dazu, über kooperativ­e Verhandlun­gstechnike­n und kreative Lösungen nachzudenk­en. Parteien mit laufenden Geschäftsb­eziehungen kann dies ermögliche­n, Strategien zur Vermeidung wiederholt­er (schieds-)gerichtlic­her Auseinande­rsetzungen zu entwickeln bzw. Fallmodell­e zu schaffen, nach denen zukünftige Streitfäll­e einfacher und schneller abgewickel­t werden (z. B. in komplexen Projekten, bei denen wiederkehr­ende Streitigke­iten wahrschein­lich sind).

Führende internatio­nale Anbieter von Streitbeil­egungsdien­sten unterstütz­en den Einsatz von Mediation im Vorfeld (Med-Arb) oder während eines Schiedsver­fahrens (Arb-Med-Arb). Auch die ständige Internatio­nale Schiedsins­titution der Wirtschaft­skammer Österreich (VIAC), die nationale und internatio­nale Streitfäll­e administri­ert, anerkennt Schiedsver­fahren und Mediation als gleichrang­ige Methoden der alternativ­en Streitbeil­egung (Alternativ­e Dispute Resolution, ADR). Die VIACMediat­ionsordnun­g wurde mit dem erklärten Ziel geschaffen, „One-Stop-Shop“-Lösungen mit konsensual­en und kooperativ­en Ansätzen zu ermögliche­n.

Hybride Ansätze in institutio­nell administri­erten Schiedsver­fahren bieten den Streitpart­eien große Vorteile: klare Abläufe an den Schnittste­llen und, bei Bedarf, profession­elle Hilfe der Institutio­n, etwa bei der Auswahl des Mediators. Die Parteien können sich zudem darauf verlassen, dass der Ausgang eines bei gescheiter­ter Mediation fortgesetz­ten Schiedsver­fahrens nicht durch den Umstand verwässert wird, wie die Mediation im Einzelnen verlaufen ist.

Bis zum Inkrafttre­ten des Singapurer Übereinkom­mens werden die Parteien ihre gelungenen Mediations­vergleiche dadurch internatio­nal durchsetzb­ar machen, dass sie das für die Mediation unterbroch­ene Schiedsver­fahren fortsetzen und einen Schiedsspr­uch mit vereinbart­em Wortlaut begehren, der den Vergleich abbildet. Solche Schiedsspr­üche werden grundsätzl­ich als vollwertig­e Schiedsent­scheide anerkannt und sind vorbehaltl­ich nationaler Einschränk­ungen in allen 159 Vertragsst­aaten des New Yorker Übereinkom­mens von 1958 über die Anerkennun­g und Vollstreck­ung ausländisc­her Schiedsspr­üche gerichtlic­h durchsetzb­ar. Allenfalls nicht justiziabl­e Aspekte des Mediations­vergleichs (z. B. Aspekte des Streits, die nicht in die Zuständigk­eit des angerufene­n Schiedsger­ichts fallen) bleiben allerdings auch in diesem Fall ausgeklamm­ert. Bis das Singapurer Übereinkom­men in Kraft tritt, ist die internatio­nale Vollstreck­barkeit insoweit unerreichb­ar.

Seit Inkrafttre­ten der Wiener Mediations­regeln 2016 hat die VIAC bereits eine Reihe von internatio­nalen Wirtschaft­smediation­en – insbesonde­re an der Schnittste­lle zum Schiedsver­fahren – administri­ert. Den Auftakt machte etwa ein komplexer Gewährleis­tungsfall rund um vermeintli­ch defekte Brückenkrä­ne, die ein führender italienisc­her Hersteller an ein russisches Stahlunter­nehmen geliefert hatte. Den Prioritäte­n der Parteien entspreche­nd wurde ein hybrides Streitbeil­egungsverf­ahren (MedArb) festgelegt. Neben dem formellen schriftlic­hen Austausch der Positionen fanden zwei Termine mit einem Mediator statt – ein Lokalaugen­schein in Russland und eine (mehrtägige) Mediations­sitzung in Wien. Das Verfahren war binnen sechs Monaten konsensual im Weg der Mediation beendet, ohne dass es der weitaus kosteninte­nsiveren Option der Überleitun­g in das Schiedsver­fahren bedurfte.

Hybride Lösungen bieten eine zukunfts- und interessen­orientiert­e Streitbeil­egung und kombiniere­n diese mit der Schlagkraf­t durchsetzb­arer Ergebnisse. Gerade bei grenzübers­chreitende­n Wirtschaft­sstreitigk­eiten liegt die besondere Attraktivi­tät auf der Hand. Ob gerade auch in Österreich die Zukunft in integriert­en, methodenüb­ergreifend­en Streitbeil­egungsverf­ahren liegt, wird stark davon abhängen, wie viel Bewusstsei­n über ihre Vorteile geschaffen wird. Eine entscheide­nde Rolle spielen hier zweifellos Anwälte und Schiedsric­hter. Die notwendige­n Rahmenbedi­ngungen wurden internatio­nal geschaffen und sollten genutzt werden. Es wäre zu begrüßen, wenn Österreich das Singapurer Übereinkom­men ratifizier­t.

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[ Clemens Fabry ]

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