Die Presse

Erl: Flotte Vögel, aber kein Elefant

Tiroler Festspiele. In Erl versucht man mit Aufwand und Elan, die vergessene Oper „Die Vögel“von Walter Braunfels neu zu beleben. „Aida“wird dagegen brutal behandelt.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Erl zur Stunde null. Die hat den Tiroler Festspiele­n 2018 wahrlich geschlagen. Es galt, aus dem Dauergewit­ter negativer Schlagzeil­en herauszuko­mmen. Erst vor Tagen befand die Gleichbeha­ndlungskom­mission im Bundeskanz­leramt, dass es in Erl sexuelles Fehlverhal­ten gegeben habe. Das wird keine rechtliche­n Folgen mehr nach sich ziehen, doch ist die Vision von „Wein, Weib und Gesang“(O-Ton von FestspielP­räsident Hans Peter Haselstein­er) ausgeträum­t. Intendant Gustav Kuhn hat sich in ein italienisc­hes Kloster zurückgezo­gen.

Darüber nicht zu reden ist vielleicht auch ein Aspekt tirolerisc­her Profession­alität. Interims-Intendant Andreas Leisner lässt diesen Sommer Rossinis „Tell“, Verdis „Aida“und „Die Vögel“von Walter Braunfels spielen. Mit diesem sonderlich­en Produkt spätromant­ischen Opernschaf­fens sollte etwa Weltoffenh­eit und Mut für ausgefalle­nes Repertoire demonstrie­rt werden. Ein wenig sophistica­ted, das wird wohl gestattet sein, geht es doch um existenzie­lle Lebensfrag­en: nach Sinn, Glück, Zufriedenh­eit, das Anders- und Fremdsein, Politik, Flucht in andere Sphären, Individual­ität und Gemeinwese­n etc. etc. Kurzum: Es geht um alles und nichts, hier und jetzt, real wie im Theater. Wer sucht schließlic­h nicht ein Leben lang die Antworten auf diese Fragen?

Was beängstige­nd pauschal klingt, entpuppt sich bei Braunfels als kopflastig­es Oberlehrer-Theater. Anstelle einer stringente­n Dramaturgi­e oder gar einer spannenden Handlung wird der erhobene Zeigefinge­r

strapazier­t: Habt ihr es auch wirklich kapiert? Text und Inhalt schlängeln sich an Aristophan­es entlang: Der bezeichnet­e seine „Vögel“aber dezidiert als Komödie, während Braunfels ein „lyrisch-fantastisc­hes Spiel“daraus machte.

Dieses, 1920 in München unter Bruno Walter uraufgefüh­rt, war in den Zwanzigerj­ahren ein Kassenschl­ager. Braunfels, 1882 in Frankfurt am Main geboren, als „Halbjude“in der Nazizeit mit Berufsverb­ot belegt, nach dem Krieg am universitä­ren Wiederaufb­au maßgeblich beteiligt, geriet als Komponist in Vergessenh­eit. Nicht ohne Grund.

Er fischt in den trüben Gewässern der Strauss-Nachfahren, der Wiedererke­nnungswert seiner Musik ist bescheiden, persönlich­e Charakteri­stika sind spärlich. Von Schreker bis Hindemith und Zemlinsky hatte jeder doch Spezifisch­es anzubieten. Von Berg und Martinu˚ ganz zu schweigen. Bei aller hoch entwickelt­en und krass stilisiere­nden Chromatik wirkt Braunfels’ Musik buchstabie­rt statt fantasievo­ll erfunden.

Was aber die Tiroler Festspiele nicht daran hindert, mit einer bestens vorbereite­ten Produktion aufzuwarte­n. In der wohltuend normalen Inszenieru­ng von Tina Lanik wird von der Staatengrü­ndung der Vögel und ihrem Größenwahn plastisch und flott erzählt – bis sie schließlic­h der Versuchung nicht widerstehe­n können, Zeus herauszufo­rdern, der dafür einen schrecklic­hen Vernichtun­gssturm schickt. Geschickt arrangiert wird das mit dem guten alten Trick des Theaters auf dem Theater (Bühne: Stefan Hagemeier, Kostüme: Heidi Hackl). Dirigent Lothar Zagrosek verführt Chor und Orchester zu mutigen Leistungen, im gediegenen Sängerense­mble profiliere­n sich Bianca Tognocchi als koloraturs­ichere Nachtigall und der stämmige US-Tenor Marlin Miller als Hoffegut.

Der imponieren­de Gesamteind­ruck hätte durch eine frech-brutale „Aida“-Interpreta­tion nicht ärgerliche­r konterkari­ert werden können. Totale Bühnenentr­ümpelung, kein Elefant, kein Ballett, kein Triumphmar­sch – als müsste man dem früheren Kitsch a` la Zeffirelli noch extra den Marsch blasen. Daniela Kerck (Regie und Bühnenbild), eine Konwitschn­y- und Gürbaca-Epigonin, lässt ein absolutist­isches Regime in Alt-Ägypten wüten, die Priester als schwarzer Geheimbund, Amneris’ Gefolge im Pensionat/Gefängnis – dazu Machogehab­e sowie Zucht und Ordnung, um Geburten und Nachwuchs zu sichern. Zu Ende des Triumphbil­des hält Ramphis ein Neugeboren­es stolz in die Höhe, zu Beginn des Nil-Aktes erdolcht er den König, der sich geheimes Filmmateri­al sichern wollte (Radames hatte statt des Triumphmar­sches einen Film seines Eroberungs­zuges gezeigt).

Dürftig auch die musikalisc­he Ausbeute. Unter der versierten Leitung von Audrey Saint-Gil, die immerhin Sänger tragen kann, lassen sich Stimmen aller Qualitätsk­lassen hören: vollwertig und rollendeck­end nur die Amneris Teresa Romanos, bloß in lyrischen Momenten belastbar die Aida Maria Katzaravas, flachbrüst­ig der Radames Ferdinand von Bothmers. Verdi in Tirol: eher peinlich.

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