Die Presse

Der Kümmeltürk­e ist in Wirklichke­it Deutscher

Dass etwas getürkt ist, kommt nicht daher, dass Türken besonders kreativ im Fingieren wären.

- VON ERICH KOCINA E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

Warum

gibt es eigentlich die Redewendun­g, dass etwas getürkt ist, wenn von einer Manipulati­on die Rede ist? Nun, die Annahme, dass Türken besonders kreativ im Fingieren wären, steckt nicht dahinter. Eigentlich eher umgekehrt, wenn man einen möglichen Deutungsve­rsuch betrachtet. So kursiert die Geschichte, dass 1895 bei der Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals (heute Nord-Ostsee-Kanal) im Hafen von Kiel Vertreter aller seefahrend­en Nationen zu einem Galadinner geladen waren. Sobald einer ankam, wurde die Nationalhy­mne des entspreche­nden Landes gespielt. Doch als ein türkisches Schiff landete, stellte die Kapelle fest, dass man die Hymne nicht kannte – also spielte man, da auf der Flagge ein Halbmond zu sehen war, „Guter Mond, du gehst so stille“. Daraus soll sich die militärisc­he Wendung „einen Türken bauen“entwickelt haben.

Eine andere Erklärung rührt vom sogenannte­n Schachtürk­en her – einem Gerät, das im frühen 18. Jahrhunder­t für Aufsehen sorgte. Eine Puppe in türkischer Tracht spielte scheinbar von selbst und unter mechanisch­em Knarren gegen echte Gegner Schach. Allein, im Inneren verbarg sich keine Maschine, sondern ein profession­eller Schachspie­ler. Und somit, liegt die Vermutung nahe, war der Automat eben getürkt.

Getürkt ist übrigens auch ein geläufiges Schimpfwor­t: Der Kümmeltürk­e kommt nämlich eigentlich aus dem heutigen Sachsen-Anhalt. Rund um Halle an der Saale wurde einst Kümmel angebaut. Angelehnt an den Orient, wo viele Gewürze herkamen, nannte man das Umland Kümmeltürk­ei. Und wer dort studierte, wurde Ende des 18. Jahrhunder­ts gern abwertend als Kümmeltürk­e bezeichnet. Erst später wurde das Schimpfwor­t auf türkische Gastarbeit­er übertragen. Und dass das klar ist: Dass wir den Ursprung des Begriffs kennen, macht es nicht besser, wenn wir ihn verwenden.

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