Die Presse

Klimapolit­ik braucht mehr als einen Hype

Es wäre wichtig, das aktuelle „Klimahoch“für die rasche Umsetzung konkreter politische­r Maßnahmen zu nutzen.

- VON STEFAN SCHLEICHER

Klimapolit­ik erlebt zurzeit ein Zwischenho­ch. Ausgelöst wurde es durch die zur Ikone gewordene Schülerin Greta Thunberg mit ihrem Sitzstreik vor dem schwedisch­en Reichstag im vergangene­n Herbst. Weltweit sichtbar wurde die mit ihrem Namen eng verbundene Bewegung „Fridays for Future“mit Demonstrat­ionen in über 100 Staaten.

Die aktuellste Ausprägung dieses klimapolit­ischen Zwischenho­chs ist die Rede von Ursula von der Leyen vor dem Europäisch­en Parlament. Ihre Aussagen zur Klimapolit­ik ließen aufhorchen und waren möglicherw­eise entscheide­nd für den knappen Erfolg bei der Abstimmung um das Amt der Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission. Im Poker um die Stimmen setzte Frau von der Leyen auf zwei Zahlen: erstens soll Europa bis 2050 klimaneutr­al werden, also nicht mehr zur Erhöhung der Treibhausg­ase in der Atmo

sphäre beitragen; zweitens soll das derzeitige Reduktions­ziel für 2030 von 40 auf 50 und möglicherw­eise 55 Prozent erhöht werden.

Nur unzureiche­nd mitgeliefe­rt wurden bei diesem Ziel-Poker die Strategien, mit denen diese zweifellos ambitionie­rtere Klimapolit­ik unterfütte­rt werden könnte. Deshalb zur Erinnerung einige Hinweise, mit welchen gravierend­en Weichenste­llungen solche Ziele zu verbinden wären: ein Stopp für jede neue Infrastruk­tur für Fossile, von Heizkessel­n für Öl und Gas bis zu neuen Pipelines; ein schneller Ausstieg aus Kohle für Elektrizit­ät, vor allem in Deutschlan­d und in Polen; Öl und Gas für Gebäude nur noch im Ausnahmefa­ll; eine Halbierung des Verbrauchs von fossilen Treibstoff­en und nur mehr geringe Anteile von konvention­ellen Fahrzeugen ab 2025.

Erst ein solcher Beipackzet­tel zum Zahlen-Poker über Klimaziele macht die unerwünsch­ten Nebenwirku­ngen einer vom Klimahype getriebene­n Klimapolit­ik sichtbar. Das klimapolit­ische Zwischenho­ch könnte nämlich schnell wieder vom gewohnten stationäre­n Tief abgelöst werden, wenn man in von der Leyens Rede weiterlies­t. Die von ihr genannten Investitio­nen für den Umbau unseres Energiesys­tems würden sich umgelegt auf Österreich mit nicht mehr als zwei Mrd. Euro pro Jahr niederschl­agen. Mindestens die zehnfache Anstrengun­g wäre tatsächlic­h erforderli­ch.

Ähnliches gilt für die vorgeschla­gene Bepreisung von Emissionen, um Verhaltens­änderungen zu erzielen. Ein solcher Preis müsste mindestens bei 100 Euro pro Tonne CO2 liegen, was beispielsw­eise einen Liter Treibstoff um 25 bis 30 Cent verteuern würde. Aber auch damit werden die erforderli­chen wirklich radikalen Änderungen bei Mobilität nicht bis 2030 in Gang kommen.

Soll das von Greta Thunberg bis Ursula von der Leyen

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