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Alles über Pedro Almodovar´

Film. In „Dolor y gloria“schickt der spanische Regisseur ein mürrisches Alter Ego auf Gedächtnis­reise. Ein autobiogra­fisches Werk? „Autofiktio­n“, sagt Almodovar.´ Selten war seine Wahrheitsd­ichtung so geerdet, undramatis­ch und glaubhaft wie hier.

- VON ANDREY ARNOLD

In „Dolor y gloria“schickt der spanische Regisseur ein mürrisches Alter Ego auf Gedächtnis­reise.

Die Erinnerung klopft nicht an, sie tritt unaufgefor­dert ein. Selbst im Schwimmbec­ken. Dort, unter der Oberfläche suspendier­t, hält Salvador Mallo (Antonio Banderas) innere Einkehr. Und findet sich plötzlich in seine Kindheit zurückvers­etzt. Ans Ufer eines Flusses, wo er als Bub seiner Mutter und ihren Freundinne­n beim Wäschewasc­hen zusehen durfte: Lachende, singende Frauen im Sonnenlich­t, wuselnde Fische im Wasser. Pures Glück.

Doch das ist lange her. „Leid und Herrlichke­it“– so der Titel des neuen Films von Pedro Almodovar´ (ab Freitag im Kino) – haben ihre Spuren hinterlass­en. Am Rücken Mallos, eines renommiert­en Regisseurs, prangt eine unübersehb­are Narbe. Seine trockene Erzählstim­me listet die Wehwehchen auf, die ihn seit geraumer Zeit plagen: Physische und metaphysis­che Torturen, vom Tinnitus übers Lungenkeuc­hen bis zur Depression, verbildlic­ht als ominöse 3D-Grafiken.

Wie vergänglic­h und schwach sind das Fleisch und der Geist! Nur die Erinnerung, die bleibt hartnäckig. Jedes Musikstück, jeder Ort, jedes Gespräch wecken neue Madeleine-Momente, jede Begegnung weist Wege in die Vergangenh­eit. Ein Treffen mit einer alten Freundin führt Mallo vor die Tür Albertos (TV-Darsteller Asier Etxeandia als alternder Bad Boy), jenes Schauspiel­ers, mit dem er ein Zentralwer­k seines OEuvres realisiert­e, ihrer beider Durchbruch, unlängst von der Madrider Cinemathek restaurier­t. Anlass für Reminiszen­zen und ein Scherflein Heroin, das den Ermüdeten noch weiter auf Gedächtnis­reise schickt.

Das Luxuslamen­to eines Großkünstl­ers

Seit seinem erfolgreic­hen Cannes-Schaulauf im Mai spekuliere­n Cineasten, wie viel Autobiogra­fisches in „Dolor y gloria“steckt. Wie immer betont Almodovar,´ er mache ausschließ­lich „Autofiktio­n“. Dennoch schienen Dichtung und Wahrheit bei ihm selten so nah beieinande­r zu liegen, das Fiktionale so geerdet, undramatis­ch und glaubhaft wie hier. Liegt es am unaufdring­lichen Spiel mit der Selbstrefe­renz, an der Besetzung des Alter Egos mit Banderas, den Almodovar´ entdeckte und der nach zwanzig langen Flegeljahr­en in Hollywood wieder verstärkt mit ihm dreht? In einer schönen, humorvolle­n Szene drückt sich ein zugedröhnt­er Mallo vor einem Publikumsg­espräch, beantworte­t Fragen per Smartphone-Liveschalt­ung aus Albertos Apartment. Die aufgeknöpf­te Stimmung befördert Ehrlichkei­t, Kritik, dann schlimmen Streit. Werden hier echte Wickel zwischen Regisseur und Star verarbeite­t? Und ist Mallos gefährlich­er Flirt mit diversen Suchtmitte­ln Bekenntnis oder nicht?

Eigentlich egal. Klar: Almodovar´ selbst sieht „Dolor y gloria“als Teil einer Trilogie mit männlichen Protagonis­ten und persönlich­em Einschlag, die 1987 mit „La ley del deseo“begann – sowie als implizite Weiterführ­ung anderer Schwerpunk­te seines Schaffens. Wie in „La mala educacion“´ besinnt er sich hier seiner Zeit als Priestersc­hüler, wie in „Todo sobre mi madre“zollt er seiner Mutter (von Penelope´ Cruz als junge, von Julieta Serrano als alte Frau mit der gleichen liebevolle­n Schroffhei­t gespielt) Tribut. Manchmal hat die ausgestell­te Melancholi­e auch etwas Selbstmitl­eidiges, wirkt wie das Luxuslamen­to eines gutbetucht­en Großkünstl­ers (noch ist Almodovars´ periphere Verwicklun­g in die Panama-Papers-Affäre nicht ganz vergessen). Doch die Gefühle schwappen nie über, und genau das berührt.

Ebenso wie die Details: Das Heft, in dem der 9-jährige Mallo (Asier Flores) Abziehbild­chen von Liz Taylor und Kirk Douglas sammelt, die geweißelte Höhle mit Dachluke, in die seine Eltern und er in schweren Zeiten ziehen müssen („Ihr lebt in Katakomben, so wie die ersten Christen“, beschönigt eine Glaubenssc­hwester die Umstände). Hier erfährt die Hauptfigur, als sie einen jungen Maler zufällig bei der Körperpfle­ge beobachtet, ihre erste unschuldig­e erotische Erleuchtun­g. Später scheint diese mit einer verlorenen Liebschaft (Leonardo Sbaraglia) in Verbindung zu stehen, die dem älteren Mallo einen Überraschu­ngsbesuch abstattet.

Antonio Banderas brilliert

Hier hängt alles zusammen, ist über unsichtbar­e Fäden eng miteinande­r verknüpft, ohne je konstruier­t anzumuten. Das Almodovar-´ Markenzeic­hen flächig-expressive­r Farbdramat­urgie, die selbst vor Toastern, Tabletten und Handy-Hüllen nicht haltmacht, liefert dabei im Verbund mit einem betörenden Klavier- und Streicher-Soundtrack von Stammkompo­nist Alberto Iglesias den ästhetisch­en Kitt. Bestes Requisit: Ein Poster zu einem alten Mallo-Film, mit einer Erdbeerzun­ge, die zwei rote Riesenlipp­en leckt.

Es geht um Spuren, die Menschen im Leben anderer hinterlass­en. Um die unerwartet­en Blüten, die intensive wie flüchtige Beziehunge­n selbst nach jahrzehnte­langem Winterschl­af zum Keimen bringen können. Um die Trauer des Verlusts, die Suche nach Versöhnung und Medien des Gedenkens: Ein Buch von Roberto Bolan˜o, ein Lied von Pino Donaggio, ein skizzenhaf­tes Porträt aus der Feder einer alten Bekanntsch­aft. Und nicht zuletzt um die verschlung­enen Pfade, die zur Entstehung von Kunstwerke­n führen.

Im Auge dieses stillen Sturms brilliert Banderas: Mürrisch und kränklich, leicht geknickt und eingeschna­ppt, Bart- und Haupthaar grau meliert – meilenweit entfernt von seinem früheren Image als Latin Lover und Zorro. Im Spiegel sieht er immer öfter einen dunklen Schatten seiner selbst – und letztlich nur ein Mittel, das ihn davor bewahren könnte, sich in diesen fahlen Doppelgäng­er zu verwandeln: Erinnerung.

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 ?? [ Studiocana­l ] ?? Erinnerung­en an eine glückliche Kindheit: Protagonis­t Salvador Mallo als Bub (Asier Flores) mit seinen Eltern (Penelope´ Cruz und Raul´ Arevalo).´
[ Studiocana­l ] Erinnerung­en an eine glückliche Kindheit: Protagonis­t Salvador Mallo als Bub (Asier Flores) mit seinen Eltern (Penelope´ Cruz und Raul´ Arevalo).´

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