Johnson will versöhnen, spaltet aber
Machtwechsel. Nach der Tory-Wahl übernimmt der Ex-Außenminister die Regierungsspitze. Er verspricht „Brexit, Einigkeit und Auftrieb“, bekommt aber bereits Gegenwind.
Vor Jahren hatte er von sich gesagt: „Die Wahrscheinlichkeit, dass ich Premierminister werde, ist ebenso groß wie Elvis auf dem Mars anzutreffen.“Nun tritt genau dies ein. Nach der Wahl zum Führer der regierenden Konservativen wird Boris Johnson heute die britische Regierung übernehmen. In einer ersten Ansprache vor seinen Parteifreunden versprach der Ex-Außenminister gestern: „Umsetzung des Brexit, Vereinigung des Landes, Besiegen von (Oppositionschef, Anm.) Jeremy Corbyn und einen neuen Auftrieb für unser Land“.
Johnson wurde am Dienstag mit 66,4 Prozent zum neuen Tory-Führer gewählt bei einer Wahlbeteiligung von 87 Prozent der Parteimitglieder. Es war ein klarer Sieg für Johnson, aber kein überragender: Sein Vorvorgänger David Cameron war 2005 auf 68 Prozent gekommen. Nach Glückwünschen aus der Partei, darunter auch des unterlegenen Außenministers, Jeremy Hunt, stellte sich rasch auch Donald Trump ein. „Er wird großartig sein“, erklärte der USPräsident via Twitter.
Im eigenen Land wurden Johnsons Wahl und seine kurze Rede an die Partei eher verhalten aufgenommen. Seine Bestellung gilt als Beleg einer tiefen gesellschaftlichen Spaltung. Labour-Chef Jeremy Corbyn meinte, Johnson habe zwar die Stimmen von weniger als 160.000 Konservativen gewonnen, aber: „Er hat nicht das Land für sich gewonnen.“Sein Finanzsprecher, John McDonnell, verglich Johnsons eher zurückhaltende Ansprache mit „einer schlecht vorbereiteten Tischrede“.
Tatsächlich gab der neue Premier nur in Andeutungen zu erkennen, wie er Großbritannien durch die anstehenden Herausforderungen zu lenken gedenkt: „Immer wieder hat unser Volk unserer Partei vertraut, das richtige Gleichgewicht zu schaffen und jedem eine faire Chance im Leben zu geben“, sagte er. Den hehren Worten sollen rasch Inhalte folgen: Johnson wird bereits heute, Mittwoch, nach der Beauftragung mit der Regierungsführung durch die Queen erstmals in der Downing Street zur Nation sprechen, für Donnerstag ist eine Erklärung im Parlament und Freitag ein Grundsatzrede im Norden des Landes angekündigt. Die schottische Regierungschefin, Nicola Sturgeon, eine klare Befürworterin des Verbleibs in der EU, blieb skeptisch: „Ich habe tiefe Sorgen.“
Er muss die gespaltene Partei versöhnen
Zugleich wird eine umfassende Regierungsumbildung erwartet. Schatzkanzler Philip Hammond, Justizminister David Gauke und Entwicklungshilfeminister Rory Stewart werden schon vor der Machtübernahme Johnsons zurücktreten, ebenso die Staatssekretäre Alan Duncan und Anne Milton. Mit weiteren Veränderungen wird gerechnet. Während manche Beobachter eine „Nacht der langen Messer“erwarten, rechnen andere mit einem vorsichtigeren Vorgehen des neuen Premiers: „Er muss die Partei versöhnen.“
Denn Johnson hat nur mehr eine Mehrheit von zwei Mandaten im Unterhaus, und eines davon wird aller Voraussicht nach schon in der nächsten Woche in einer Nachwahl verloren gehen. Im Parlament will eine Mehrheit einen No-Deal-Brexit verhindern. Dass er nun Mitstreiter aus der Referendumskampagne für den Brexit von 2016 in die Downing Street mitnehmen will, gab Spekulationen über rasche Neuwahlen Auftrieb. „Wenn irgendjemand so einen Schritt setzt, dann ist es Johnson“, sagt die Verfassungsexpertin Hannah White vom Institute for Government dazu zur „Presse“.
So gut wie nichts hatte Johnson in seiner Rede zum alles dominierenden Thema Brexit zu sagen. Er wiederholte nicht seine Position zum geltenden Stichtag, 31. Oktober. Nämlich „hart und auf alle Kosten“die EU verlassen zu wollen. Stattdessen sprach er von „engen und freundschaftlichen Beziehungen mit unseren europäischen Partnern“.
Der EU-Chefverhandler, Michel Barnier, schrieb in einer Twitter-Nachricht: „Wir freuen uns darauf, mit Boris Johnson nach seiner Amtsübernahme konstruktiv zusammenzuarbeiten, um die Ratifizierung des Austrittsabkommens zu erleichtern.“Freilich stellte er gleichzeitig klar, dass für ihn die geforderte Neuverhandlung des Austrittsabkommens nicht infrage komme. Nicht zuletzt fühlt sich die EU-Kommission den Interessen Irlands verbunden, das bei einem No Deal mit Nachteilen rechnen muss.
In seiner wöchentlichen Zeitungskolumne hatte Johnson am Montag zum ungelösten Problem der Kontrolle der inneririschen Grenze nach dem Brexit geschrieben: „Es ist nicht zu glauben, dass wir 50 Jahre nach der Mondlandung dafür keine technische Lösung finden können.“