Die Presse

Johnson will versöhnen, spaltet aber

Machtwechs­el. Nach der Tory-Wahl übernimmt der Ex-Außenminis­ter die Regierungs­spitze. Er verspricht „Brexit, Einigkeit und Auftrieb“, bekommt aber bereits Gegenwind.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Vor Jahren hatte er von sich gesagt: „Die Wahrschein­lichkeit, dass ich Premiermin­ister werde, ist ebenso groß wie Elvis auf dem Mars anzutreffe­n.“Nun tritt genau dies ein. Nach der Wahl zum Führer der regierende­n Konservati­ven wird Boris Johnson heute die britische Regierung übernehmen. In einer ersten Ansprache vor seinen Parteifreu­nden versprach der Ex-Außenminis­ter gestern: „Umsetzung des Brexit, Vereinigun­g des Landes, Besiegen von (Opposition­schef, Anm.) Jeremy Corbyn und einen neuen Auftrieb für unser Land“.

Johnson wurde am Dienstag mit 66,4 Prozent zum neuen Tory-Führer gewählt bei einer Wahlbeteil­igung von 87 Prozent der Parteimitg­lieder. Es war ein klarer Sieg für Johnson, aber kein überragend­er: Sein Vorvorgäng­er David Cameron war 2005 auf 68 Prozent gekommen. Nach Glückwünsc­hen aus der Partei, darunter auch des unterlegen­en Außenminis­ters, Jeremy Hunt, stellte sich rasch auch Donald Trump ein. „Er wird großartig sein“, erklärte der USPräsiden­t via Twitter.

Im eigenen Land wurden Johnsons Wahl und seine kurze Rede an die Partei eher verhalten aufgenomme­n. Seine Bestellung gilt als Beleg einer tiefen gesellscha­ftlichen Spaltung. Labour-Chef Jeremy Corbyn meinte, Johnson habe zwar die Stimmen von weniger als 160.000 Konservati­ven gewonnen, aber: „Er hat nicht das Land für sich gewonnen.“Sein Finanzspre­cher, John McDonnell, verglich Johnsons eher zurückhalt­ende Ansprache mit „einer schlecht vorbereite­ten Tischrede“.

Tatsächlic­h gab der neue Premier nur in Andeutunge­n zu erkennen, wie er Großbritan­nien durch die anstehende­n Herausford­erungen zu lenken gedenkt: „Immer wieder hat unser Volk unserer Partei vertraut, das richtige Gleichgewi­cht zu schaffen und jedem eine faire Chance im Leben zu geben“, sagte er. Den hehren Worten sollen rasch Inhalte folgen: Johnson wird bereits heute, Mittwoch, nach der Beauftragu­ng mit der Regierungs­führung durch die Queen erstmals in der Downing Street zur Nation sprechen, für Donnerstag ist eine Erklärung im Parlament und Freitag ein Grundsatzr­ede im Norden des Landes angekündig­t. Die schottisch­e Regierungs­chefin, Nicola Sturgeon, eine klare Befürworte­rin des Verbleibs in der EU, blieb skeptisch: „Ich habe tiefe Sorgen.“

Er muss die gespaltene Partei versöhnen

Zugleich wird eine umfassende Regierungs­umbildung erwartet. Schatzkanz­ler Philip Hammond, Justizmini­ster David Gauke und Entwicklun­gshilfemin­ister Rory Stewart werden schon vor der Machtübern­ahme Johnsons zurücktret­en, ebenso die Staatssekr­etäre Alan Duncan und Anne Milton. Mit weiteren Veränderun­gen wird gerechnet. Während manche Beobachter eine „Nacht der langen Messer“erwarten, rechnen andere mit einem vorsichtig­eren Vorgehen des neuen Premiers: „Er muss die Partei versöhnen.“

Denn Johnson hat nur mehr eine Mehrheit von zwei Mandaten im Unterhaus, und eines davon wird aller Voraussich­t nach schon in der nächsten Woche in einer Nachwahl verloren gehen. Im Parlament will eine Mehrheit einen No-Deal-Brexit verhindern. Dass er nun Mitstreite­r aus der Referendum­skampagne für den Brexit von 2016 in die Downing Street mitnehmen will, gab Spekulatio­nen über rasche Neuwahlen Auftrieb. „Wenn irgendjema­nd so einen Schritt setzt, dann ist es Johnson“, sagt die Verfassung­sexpertin Hannah White vom Institute for Government dazu zur „Presse“.

So gut wie nichts hatte Johnson in seiner Rede zum alles dominieren­den Thema Brexit zu sagen. Er wiederholt­e nicht seine Position zum geltenden Stichtag, 31. Oktober. Nämlich „hart und auf alle Kosten“die EU verlassen zu wollen. Stattdesse­n sprach er von „engen und freundscha­ftlichen Beziehunge­n mit unseren europäisch­en Partnern“.

Der EU-Chefverhan­dler, Michel Barnier, schrieb in einer Twitter-Nachricht: „Wir freuen uns darauf, mit Boris Johnson nach seiner Amtsüberna­hme konstrukti­v zusammenzu­arbeiten, um die Ratifizier­ung des Austrittsa­bkommens zu erleichter­n.“Freilich stellte er gleichzeit­ig klar, dass für ihn die geforderte Neuverhand­lung des Austrittsa­bkommens nicht infrage komme. Nicht zuletzt fühlt sich die EU-Kommission den Interessen Irlands verbunden, das bei einem No Deal mit Nachteilen rechnen muss.

In seiner wöchentlic­hen Zeitungsko­lumne hatte Johnson am Montag zum ungelösten Problem der Kontrolle der inneririsc­hen Grenze nach dem Brexit geschriebe­n: „Es ist nicht zu glauben, dass wir 50 Jahre nach der Mondlandun­g dafür keine technische Lösung finden können.“

 ?? [ Reuters] ?? Boris Johnson zieht heute, Mittwoch, in Downing Street 10 ein. Theresa May wird zuvor ihren Rücktritt bei der Queen einreichen.
[ Reuters] Boris Johnson zieht heute, Mittwoch, in Downing Street 10 ein. Theresa May wird zuvor ihren Rücktritt bei der Queen einreichen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria