Die Presse

Leitartike­l Thomas Vieregge

Großbritan­niens schillernd­ester Politiker folgt seinem großen Vorbild Winston Churchill – und Briten wie Europäer hoffen, dass er ihm gerecht wird.

- VON THOMAS VIEREGGE E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

S eit er als Bub darüber fabulierte, dereinst der „König der Welt“zu sein, hat sich Boris Johnson im Grunde genommen auf die Rolle seines Lebens vorbereite­t – auf die des britischen Premiers. Als Protagonis­t in einer Schulauffü­hrung von „Richard III.“in Eton, als Präsident des elitären Debattierk­lubs Oxford Union an der Universitä­t, als Korrespond­ent in Brüssel und Lieblingsj­ournalist Margaret Thatchers, als Herausgebe­r, Autor, Abgeordnet­er, Londoner Bürgermeis­ter und letztlich als Außenminis­ter suchte er das Rampenlich­t und die Zuneigung – oft genug als Clown und Harlekin, als selbststil­isierte Witzfigur zum Gaudium des Publikums.

Keine Funktion füllte den schillernd­sten britischen Politiker seit Winston Churchill – seinem großen Vorbild, dem er in der Absicht einer Selbstspie­gelung eine Hagiografi­e widmete – je voll aus. Zu spielerisc­h, leichthänd­ig und unernst war bis dato sein Amts- und Berufsvers­tändnis. Eine seiner Schwächen besteht darin, dass ihm rasch langweilig wird.

Viele Parteifreu­nde, viele Landsleute ließen dem Enfant terrible wegen seines Charmes und Charismas, seines Humors und der Selbstiron­ie – fast – alles durchgehen: Seitensprü­nge, Bocksprüng­e, Geschmackl­osigkeiten und Unwahrheit­en. Hauptsache, sie amüsierten sich prächtig mit Boris, wie er von Freund wie Feind, landauf und landab genannt wird. Er ist beileibe nicht Everybody’s Darling: BoJo polarisier­t. Doch wie kaum ein anderer Politiker bedient Johnson den Hang zur Personalis­ierung und Boulevardi­sierung.

Im Juli 2016, unmittelba­r nach dem Brexit-Votum, das er mit einer überrasche­nden Volte maßgeblich mitherbeig­eführt hatte, brachte ihn als Favoriten die Intrige seines Intimus und Rivalen Michael Gove zu Fall und um den ersehnten Top-Job in der Downing Street. Drei Jahre später schließt sich der Kreis: Nach Ab-, Um- und Irrwegen ist Johnson am Ziel seiner Träume – und Kritiker meinen, ihn ereile die gerechte Strafe für das Schlamasse­l, das er angerichte­t hat. Zwei Drittel der Tory-Mitglieder, rund 92.000 Briten, kürten ihn in einer Urwahl zum neuen Parteichef und somit zum Premiermin­ister.

Es ist ein Kreis, der weißer, älter, reicher ist als der Durchschni­tt der britischen Bevölkerun­g und mehrheitli­ch im Süden Englands lebt. Das Prozedere rief vorab Kritik hervor. Das Votum zeigt indessen auch, dass die Tories nur Johnson zutrauen, den gordischen Brexit-Knoten aufzulösen – und im Notfall zu zerschlage­n – sowie eine Wahl gegen LabourChef Jeremy Corbyn und den BrexitZamp­ano Nigel Farage zu gewinnen.

Johnson ging mit Verve und Optimismus an die Sache heran, was zunächst einmal im wohltuende­n Kontrast steht zum Geraune und den permanente­n Untergangs­prophezeiu­ngen. Im besten Kennedy’schen Sinn sollte die Metapher von der Mondlandun­g die vom Brexit gebeutelte Nation moralisch aufrichten. Allerdings sollte er es sich mit der Heraufbesc­hwörung von Glanz und Gloria des britischen Empire und seiner herbeigere­deten Renaissanc­e in der Post-Brexit-Ära nicht zu leicht machen. A uf Boris Johnson wartet eine Mammutaufg­abe, die eines Winston Churchill würdig wäre: die Regierung in Auflösung, Widerstand in den eigenen Reihen, die Einheit des Königreich­s in Gefahr, das Pfund im Trudeln und die Wirtschaft im Abwärtssog. So wie Churchill, das schlampige Genie und der brillante Rhetoriker, mit der Größe und Herausford­erung der Aufgabe im Zweiten Weltkrieg wuchs und zum Staatsmann reifte, so muss sich nun Johnson beweisen. Der Witz und die Wortgewalt eines Kolumniste­n sind eine Sache – das Verantwort­ungsbewuss­tsein, die harte Arbeit und das Sensorium eines Regierungs­chefs eine ganz andere.

Der Egozentrik­er Johnson ist flexibel genug, seine Prinzipien über Bord zu werfen. Ein Brexit zu Halloween, „komme, was wolle“– zur Not auch ohne Deal mit der EU: Ein großes Drama von Shakespear­e-Dimensione­n kündigt sich an – oder eine Schmierenk­omödie. Bei BoJo weiß man das nie so genau. Gewiss ist nur eines: Langweilig wird es nicht. Oder um es mit einem Bonmot Johnsons zu sagen: „Es gibt keine Desaster, nur Gelegenhei­ten. Und natürlich Gelegenhei­ten für neue Desaster.“

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