Das norditalienische Dilemma des Matteo Salvini
Analyse. Für die Lega ist eine Föderalisierung Italiens seit jeher eine grundlegende Existenzfrage, nun pochen die reichen norditalienische Regionen auf die Umsetzung. Doch der Lega-Chef ist weniger überzeugt davon, als er vorgibt.
In diesen hitzigen Tagen steht Matteo Salvini vor der kniffligsten Herausforderung seiner erfolgreichen Karriere als Lega-Kapitän: Italiens Föderalismusreform. Die Autonomie der wohlhabenderen norditalienischen Regionen gehört zur ältesten und wichtigsten Forderungen seiner Partei, sie ist die ideologische Basis und UrIdentität der Lega.
Theatralisch haut der italienische Vizepremier denn auch auf den Tisch und droht dem FünfSterne-Koalitionspartner – wieder einmal – mit Bruch, sollte dieser das Autonomie-Paket ablehnen.
Doch ganz so überzeugt wie es scheint dürfte er nicht sein: Salvini hat erfolgreich die einst norditalienische Lega in eine „nationalistische“– und ausländerfeindliche– rechtspopulistische Partei verwandelt und damit viele Anhänger im früher von der Lega so sehr verschmähtem Süden gewonnen: Auch deshalb kann die Lega heute mit fast 38 Prozent der Stimmen rechnen – so viele wie noch nie zuvor. Die mögliche „differenzierte Autonomie“und de facto Finanz
hoheit (siehe oben) würde auf Kosten des armen „Mezzogiorno“gehen. Viele sehen gar die Gefahr einer norditalienische Abspaltung durch die Hintertür.
Die Reform würde jedenfalls Wähler in Süditalien wieder abschrecken: Hatte Salvini sie doch gerade erst überzeugt, dass der alte Lega-Süditaliener-Hass der Vergangenheit angehört.
Immerhin wählten beim EUVotum im Mai mehr als 23 Prozent der Süditaliener Lega – ein Rekordergebnis: Salvinis Rechtspopulisten haben dank ihres nationalistischen Kurses viele Anhänger der Fünf-Sterne-Bewegung für sich gewinnen können.
Wohl auch mit Blick auf seine süditalienischen Fans hat Salvini den Autonomiepakt – der Teil des Regierungsabkommens ist – auf die lange Bank geschoben. Dafür hat er sich eher auf gewinnbringendere Themen wie Migration, Steuern oder Pensionen konzentriert.
Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite aber rumort es zunehmend im traditionell norditalienischen, harten Kern der Lega: Ungeduldig pochen nicht nur die mächtigen Regionalchefs der Lombardei und Venetiens auf die sofortige Umsetzung der Selbstverwaltung – sondern auch die Parteibasis. Immerhin schien ein Ende der verhassten Transferleistungen nach Rom mit dem Regierungseintritt der Lega vor einem Jahr schon so nahe.
Der Weg zur Reform dahin war lange und mühsam genug gewesen: Im Oktober 2017 hatte sich bei Referenden in der Lombardei und Venetien eine Mehrheit der Bürger dafür ausgesprochen, in mehreren Budgetbereichen die Finanzhoheit zu erhalten. Es folgten zähe Verhandlungen, im Norden befürchtete man schon ein erneutes Scheitern der Causa.
Denn hier, im heftig von der Finanzkrise getroffenen, industriellen Herzen Italiens, sehen viele noch die Wurzeln alles Übels im korrupten, „faulen“Süden der Halbinsel. Diese Überzeugung prägte von Anfang an auch die Geschichte der Partei: Als Umberto Bossi in den 1980er-Jahren die Lega Lombarda in der reichen, nordwestlichen Region gründete, stellte er sich eine Art föderale Union zwischen einer neu erfundenen, norditalienischen Makro-Region Padanien mit den übrigen Regionen Italiens vor. Er punktete mit Hasstiraden gegen das „diebische Rom“und gegen „Terroni“– ein gängiges Schimpfwort für Süditaliener – und machte aus seiner Lega Nord eine der erfolgreichsten Parteien Norditaliens. 1993 wurde ein feuriger 20-jähriger „Padane“mit markigen Anti-Süditalien-Sprüchen Stadtrat von Mailand: Matteo Salvini.
Mitte der 1990er-Jahre, nach einem kurzen Abenteuer in der Regierung, mutierte Bossi dann zum Separatisten und „kämpfte“für den padanischen Staat. Der sezessionistische Traum wich aber bald der pragmatischeren Forderung nach Föderalismus – wohl auch, weil die Lega sonst nicht mehr ins Regierungsbündnis mit Silvio Berlusconis Partei und den Postfaschisten aufgenommen worden wäre.
Trotz mehrerer Regierungsbeteiligungen setzte die Lega nie ihre Autonomiepläne durch. Selbst abgeschwächte Formen scheiterten. Offen ist, ob es tatsächlich der ehrgeizige Salvini sein wird, der diesen seit 30 Jahren andauernden Kampf zum Erfolg führen wird.