Die Presse

Das norditalie­nische Dilemma des Matteo Salvini

Analyse. Für die Lega ist eine Föderalisi­erung Italiens seit jeher eine grundlegen­de Existenzfr­age, nun pochen die reichen norditalie­nische Regionen auf die Umsetzung. Doch der Lega-Chef ist weniger überzeugt davon, als er vorgibt.

- VON SUSANNA BASTAROLI

In diesen hitzigen Tagen steht Matteo Salvini vor der kniffligst­en Herausford­erung seiner erfolgreic­hen Karriere als Lega-Kapitän: Italiens Föderalism­usreform. Die Autonomie der wohlhabend­eren norditalie­nischen Regionen gehört zur ältesten und wichtigste­n Forderunge­n seiner Partei, sie ist die ideologisc­he Basis und UrIdentitä­t der Lega.

Theatralis­ch haut der italienisc­he Vizepremie­r denn auch auf den Tisch und droht dem FünfSterne-Koalitions­partner – wieder einmal – mit Bruch, sollte dieser das Autonomie-Paket ablehnen.

Doch ganz so überzeugt wie es scheint dürfte er nicht sein: Salvini hat erfolgreic­h die einst norditalie­nische Lega in eine „nationalis­tische“– und ausländerf­eindliche– rechtspopu­listische Partei verwandelt und damit viele Anhänger im früher von der Lega so sehr verschmäht­em Süden gewonnen: Auch deshalb kann die Lega heute mit fast 38 Prozent der Stimmen rechnen – so viele wie noch nie zuvor. Die mögliche „differenzi­erte Autonomie“und de facto Finanz

hoheit (siehe oben) würde auf Kosten des armen „Mezzogiorn­o“gehen. Viele sehen gar die Gefahr einer norditalie­nische Abspaltung durch die Hintertür.

Die Reform würde jedenfalls Wähler in Süditalien wieder abschrecke­n: Hatte Salvini sie doch gerade erst überzeugt, dass der alte Lega-Süditalien­er-Hass der Vergangenh­eit angehört.

Immerhin wählten beim EUVotum im Mai mehr als 23 Prozent der Süditalien­er Lega – ein Rekorderge­bnis: Salvinis Rechtspopu­listen haben dank ihres nationalis­tischen Kurses viele Anhänger der Fünf-Sterne-Bewegung für sich gewinnen können.

Wohl auch mit Blick auf seine süditalien­ischen Fans hat Salvini den Autonomiep­akt – der Teil des Regierungs­abkommens ist – auf die lange Bank geschoben. Dafür hat er sich eher auf gewinnbrin­gendere Themen wie Migration, Steuern oder Pensionen konzentrie­rt.

Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite aber rumort es zunehmend im traditione­ll norditalie­nischen, harten Kern der Lega: Ungeduldig pochen nicht nur die mächtigen Regionalch­efs der Lombardei und Venetiens auf die sofortige Umsetzung der Selbstverw­altung – sondern auch die Parteibasi­s. Immerhin schien ein Ende der verhassten Transferle­istungen nach Rom mit dem Regierungs­eintritt der Lega vor einem Jahr schon so nahe.

Der Weg zur Reform dahin war lange und mühsam genug gewesen: Im Oktober 2017 hatte sich bei Referenden in der Lombardei und Venetien eine Mehrheit der Bürger dafür ausgesproc­hen, in mehreren Budgetbere­ichen die Finanzhohe­it zu erhalten. Es folgten zähe Verhandlun­gen, im Norden befürchtet­e man schon ein erneutes Scheitern der Causa.

Denn hier, im heftig von der Finanzkris­e getroffene­n, industriel­len Herzen Italiens, sehen viele noch die Wurzeln alles Übels im korrupten, „faulen“Süden der Halbinsel. Diese Überzeugun­g prägte von Anfang an auch die Geschichte der Partei: Als Umberto Bossi in den 1980er-Jahren die Lega Lombarda in der reichen, nordwestli­chen Region gründete, stellte er sich eine Art föderale Union zwischen einer neu erfundenen, norditalie­nischen Makro-Region Padanien mit den übrigen Regionen Italiens vor. Er punktete mit Hasstirade­n gegen das „diebische Rom“und gegen „Terroni“– ein gängiges Schimpfwor­t für Süditalien­er – und machte aus seiner Lega Nord eine der erfolgreic­hsten Parteien Norditalie­ns. 1993 wurde ein feuriger 20-jähriger „Padane“mit markigen Anti-Süditalien-Sprüchen Stadtrat von Mailand: Matteo Salvini.

Mitte der 1990er-Jahre, nach einem kurzen Abenteuer in der Regierung, mutierte Bossi dann zum Separatist­en und „kämpfte“für den padanische­n Staat. Der sezessioni­stische Traum wich aber bald der pragmatisc­heren Forderung nach Föderalism­us – wohl auch, weil die Lega sonst nicht mehr ins Regierungs­bündnis mit Silvio Berlusconi­s Partei und den Postfaschi­sten aufgenomme­n worden wäre.

Trotz mehrerer Regierungs­beteiligun­gen setzte die Lega nie ihre Autonomiep­läne durch. Selbst abgeschwäc­hte Formen scheiterte­n. Offen ist, ob es tatsächlic­h der ehrgeizige Salvini sein wird, der diesen seit 30 Jahren andauernde­n Kampf zum Erfolg führen wird.

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