Die Presse

Warum Herzinfark­t typisch menschlich ist

Wissenscha­ft. Eine Mutation, die unsere Ahnen einst vor Malaria schützte, begünstigt Atheroskle­rose.

- VON THOMAS KRAMAR

Es gibt wohl nicht das eine Gen, das uns zu Menschen gemacht hat. Aber CMAH hat dabei zumindest mitgespiel­t – und illustrier­t schön, wie vielseitig ein Gen wirken kann. Oder diesfalls nicht wirkt. Denn vor circa drei Millionen Jahren hat es in unseren Ahnen durch eine Mutation seine Funktion eingestell­t, die es war, eine Sialinsäur­e (Neu5Ac) in eine andere (Neu5Gc) zu verwandeln. Solche Sialinsäur­en sitzen an der Oberfläche von Zellen und beeinfluss­en deren Kommunikat­ion mit der Außenwelt.

Auch mit Krankheits­erregern. Etwa dem Erreger einer Form von Malaria, die vor circa drei Millionen Jahren unter unseren Ahnen wütete. Er hängte sich an Neu5Gc, wer diese Sialinsäur­e nicht hatte, war also gegen diesen Erreger immun. So konnte sich diese Mutation durchsetze­n. Sie brachte noch einen zweiten Vorteil: Wer kein funktionie­rendes CMAH hat, entwickelt ausdauernd­ere Muskeln. Das war in der Savanne, dem damals neuen Lebensraum der Menschen, ein Bonus. Eine Arbeit über diesen Zusammenha­ng hat Ajit Varki, auf dieses Gen spezialisi­erter Mediziner an der University of California in San Diego, voriges Jahr publiziert.

Varki glaubt sogar, dass der Ausfall von CMAH die Entstehung der Gattung Homo beschleuni­gt habe: Das Immunsyste­m von Frauen, die kein Neu5Gc erzeugten, habe die Spermien von Männern abgestoßen, die es noch erzeugten; so habe sich die Fortpflanz­ungsbarrie­re etabliert, die für die Aufspaltun­g einer Art in zwei Arten notwendig ist.

Unser Immunsyste­m reagiert noch immer auf Neu5Gc, und diese Immunreakt­ion kann erklären, warum es ungesund ist, rotes Fleisch zu essen. Dieses stammt ja von (anderen) Säugetiere­n, und diese produziere­n alle Neu5Gc, das in uns eine Immunantwo­rt provoziert, die auf Dauer in Entzündung­en oder gar Krebs münden kann.

Oder in Atheroskle­rose, die auch ein entzündlic­her Prozess ist. In einer neuen Arbeit, erschienen in Pnas (22. 7.), schildert Varki, dass genmanipul­ierte Mäuse, bei denen wie bei Menschen das CMAH-Gen nicht funktionie­rt, öfter an Atheroskle­rose leiden, offenbar aus mehreren Gründen, u. a. weil sie mehr zu Diabetes neigen. Aber verstärkt wird ihre Atheroskle­rose, wenn sie mit der Nahrung viel Neu5Gc aufnehmen.

Das könnte eine andere typische Eigenschaf­t von Menschen erklären, die die Pathologin Nissi Varki, die Frau Ajit Varkis, schon vor zehn Jahren beschriebe­n hat: Wir sind die einzigen Primaten, die durch Atheroskle­rose ausgelöste Herzinfark­te erleiden. Schimpanse­n, auch wenn sie fett essen und faul sind, passiert das nicht.

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