Die Presse

Eine exzessive Gitarre störte die Jazz-Andacht

Charles Lloyd überrascht­e im Porgy & Bess mit vitalen Fusion-Sounds, Gitarrist Julian Lage war auf Ego-Trip.

- VON SAMIR H. KÖCK

Der Klang seines Saxofons hat seit bald 55 Jahren die betörende Qualität eines Sirenenges­angs. Doch anders als die altgriechi­schen Sirenen, die Schiffer ins Verderben lockten, will Charles Lloyd nicht töten. Gefangen nehmen schon. Und so hingen die Besucher des Porgy & Bess rasch am bitter-süßen Sound von „Defiant“, einer dieser elegischen Melodien Lloyds, die man für ein unbekannte­s Volkslied halten könnte.

Seit Mitte der Sechzigerj­ahre kreuzt Lloyd die Freiheit des Avantgarde­jazz mit populären Rhythmen und Weltmusik. Er war einer der ersten Jazzer, die vom Rockmusikp­ublikum akzeptiert, ja geliebt, wurden. Lange vor Miles Davis trat er in Rocktempel­n wie dem Fillmore West auf. „Forest Flower“sein Album von 1966, war eine der ersten Jazzplatte­n, von der mehr als eine Million Stück verkauft worden sind. Der junge Keith Jarrett spielte damals in seiner Band.

Immer noch lockt es junge Spitzenspi­eler zu ihm. In den letzten Jahren etwa die Pianisten Jason Moran und Brad Mehldau. An diesem Abend war Lloyd von zwei Gitarriste­n umrahmt: vom bluesig-funkig spielenden Afroamerik­aner Marvin Sewell, der die gehaltvoll­eren, weil pointierte­ren Soli brachte, und vom 31-jährigen Julian Lage, der als Wunderkind des aktuellen Fusionjazz gefeiert wird. Im ersten Stück hielt er sich noch zurück, wurde aber immer exzessiver. Mit dem dritten Stück, dem Lloyd-Klassiker „Of Course, Of Course“, war er auf Betriebste­mperatur. Was als kurze Einlage erfrischen­d gewesen wäre, nervte mit jeder Nummer mehr: sterile, helltönend­e Läufe, die sich selbst genügten. Sogar in schönste Motive Lloyds spielte er hinein. Diesem schien es recht zu sein, denn so konnte er sich öfters hinten auf seinem Bankerl ausruhen. Immerhin dauerte das Konzert zweieinhal­b Stunden. Ein Kraftakt für einen Mann von 81 Jahren. Der rein äußerlich, stets nach neuester Mode gekleidet, erstaunlic­h jung wirkt.

Wie sein Saxofonton, den er diesmal viel zu selten ins Moll tauchte. Angetriebe­n von den Gitarriste­n, wurde das Konzert großteils ein Uptempo-Event. Nur Lloyds „Requiem“und die zarte Interpreta­tion des alten kubanische­n Schlagers „Ay Amor“retteten den Abend davor, zum Fusion-Exzess zu werden.

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