Dowlands fashionable Tränen
Salzburg I. Jordi Savall und Hesp`erion XXI mit John Dowlands „Lachrimæ“: Jubel für labile Lamenti und schwungvolle Schwermut.
Die ehernen Schlussakkorde von Busonis „Fantasia contrappuntistica“in der Interpretation von Igor Levit brausten ihm noch im Kopf, da durfte der unermüdliche Besucher der Ouverture spirituelle eine gute Stunde später auf den Klang von Gambenconsort und Laute niedersinken, als wäre dieser ein kostbares altes Daunenkissen: etwas zerzaust von der Zeit, aber nach wie vor edel – und verletzlich, zumal in der diffusen Akustik der Kollegienkirche. Bei den ganzen Tränenseen des heurigen Programms durften auch die 1604 veröffentlichten „Lachrimæ, or Seaven Teares“aus der Feder von John Dowland nicht fehlen, selbst wenn sie weltlichen Ursprungs sind – eine Sammlung von Instrumentalfassungen seiner berühmtesten Lieder, erweitert durch allerlei Tanzsätze. Und Jordi Savall, die Gambisten seines Ensembles Hesp`erion XXI sowie der Lautenist Rolf Lislevand ließen das Publikum, das vor allem in den hinteren Reihen die Ohren gehörig zu spitzen hatte, an ihrer intimen Deutung teilhaben.
Dabei gingen sie klugerweise nicht lexikalisch vor, sondern ließen den „Teares“und drei weiteren Pavans immer Galiards folgen und beschlossen das Ganze mit einer wirkungsvollen Almand. „Semper Dowland semper dolens – Immer Dowland, immer betrübt“, heißt da eine Nummer: Die durch höfische Contenance veredelte, zu Melancholie sublimierte Trauer einer ganzen Epoche verkörperte sich in der Musik ihres größten Lautenisten, der mit „Jo: dolandi de Lachrimæ“unterschrieb.
Warum er eine frei gewordene Stelle am Hofe von Elizabeth I. nicht bekommen hatte, ob er sich deshalb als tragische, ständig unterschätzte und gramgebeugte Gestalt darstellte (und vermarktete), ob er depressiv war oder nur eine fashionable Pose einnahm, ist ungeklärt. Geblieben ist der Reiz seiner Musik – einer Musik, in der das bipolare Denken in Dur und Moll ja noch nicht gilt, weshalb die erst später reglementierte Grenze immer wieder so überraschend und expressiv überschritten werden kann. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: Hatte man sich erst auf den fragilen Ausdrucksrahmen justiert und eingehört, verzauberten die labilen Lamenti und die schwungvolle Schwermut 75 abwechslungsreiche Minuten lang – und keine Nummer glich der anderen. Zugabe: ein fröhliches Pizzicato-Spitzentaschentuch für die feuchten Augen.