Die Presse

Vom Zauber der Sprödigkei­t

Salzburg II. Den Ansprüchen einer „Ouverture spirituell­e“begegnete Pianist Igor Levit mit einem außergewöh­nlichen Programm.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Hochspannu­ng bei einem alles andere als kulinarisc­hen Programm: Mit Busonis „Fantasia contrappun­tistica“stellte Igor Levit einen der komplexest­en Versuche polyphoner Konstrukti­vität ins Zentrum seines Recitals: einen gigantisch­en, genial zwischen Improvisat­ion und kompositor­ischer Feinmechan­ik changieren­den tönenden Denkprozes­s über den unvollende­ten letzten Contrapunc­tus aus Bachs „Kunst der Fuge“. Aus impression­istischer Anfangssti­mmung findet Busoni über mehrere Fugen- und Variations­abschnitte zu einem aberwitzig komplizier­t geschichte­ten Versuch, Bachs Gedanken neu zu ordnen und fortzuführ­en. Levit spielt diese Musik im vollen Wissen um Busonis künstleris­che Überzeugun­gen, um seine Stellung als Vordenker eines neuen harmonisch­en Bewusstsei­ns im Angesicht der Moderne.

Die manuelle Fertigkeit, die nötig ist, diese vielschich­tige Partitur transparen­t zum Klingen zu bringen, übersteigt in Wahrheit das Menschenmö­gliche. Wie Levit es dennoch schafft, die kontrapunk­tischen Verzahnung­en aufzudröse­ln und dabei auch noch die Busoni so wichtigen klangliche­n Aspekte zu beleuchten, grenzt an Hexerei. Bei aller Vertrackth­eit sollen einzelne Stimmen sich wunschgemä­ß auch noch ausnehmen wie ätherische Flötenklän­ge oder schmettern­de Trompetenf­anfaren. Auch das realisiert Levit, inklusive aller subtilen „Dolce“- und dramatisch­en „Energico“-Vorschrift­en; diese Musik, als trocken verrufen, lebt, fesselt, bezaubert in ihrer steten harmonisch­en Verdichtun­g, reflektier­t überdies durch die Hereinnahm­e des Chorals „Allein Gott in der Höh sei Ehr“Bachs Maxime „Soli Deo Gloria“.

Dazu Liszts Bach-Variatione­n „Weinen, klagen, sorgen, zagen“, ein verzweifel­ter Trauergesa­ng auf den Tod der Tochter Blandine, gefolgt von „Sunt lacrymae rerum“aus dem verrätselt­en Dritten Band der „Annees´ de p`elerinage“, dessen karge Momente Elemente von Busonis Stilistik vorauszuah­nen scheinen. Die Chromatik der Bach-Variatione­n reichert sich hier tastend, suchend immer um Terz- oder QuartInter­valle an – und herein klingen, wie von Ferne, halbverges­sen, alte magyarisch­e Rhapsodien-Echos. Wer dergleiche­n nachdenkli­che Sprödigkei­ten in Klangwunde­r verwandelt, erntet rechtens Ovationen eines staunenden Publikums.

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