Vom Zauber der Sprödigkeit
Salzburg II. Den Ansprüchen einer „Ouverture spirituelle“begegnete Pianist Igor Levit mit einem außergewöhnlichen Programm.
Hochspannung bei einem alles andere als kulinarischen Programm: Mit Busonis „Fantasia contrappuntistica“stellte Igor Levit einen der komplexesten Versuche polyphoner Konstruktivität ins Zentrum seines Recitals: einen gigantischen, genial zwischen Improvisation und kompositorischer Feinmechanik changierenden tönenden Denkprozess über den unvollendeten letzten Contrapunctus aus Bachs „Kunst der Fuge“. Aus impressionistischer Anfangsstimmung findet Busoni über mehrere Fugen- und Variationsabschnitte zu einem aberwitzig kompliziert geschichteten Versuch, Bachs Gedanken neu zu ordnen und fortzuführen. Levit spielt diese Musik im vollen Wissen um Busonis künstlerische Überzeugungen, um seine Stellung als Vordenker eines neuen harmonischen Bewusstseins im Angesicht der Moderne.
Die manuelle Fertigkeit, die nötig ist, diese vielschichtige Partitur transparent zum Klingen zu bringen, übersteigt in Wahrheit das Menschenmögliche. Wie Levit es dennoch schafft, die kontrapunktischen Verzahnungen aufzudröseln und dabei auch noch die Busoni so wichtigen klanglichen Aspekte zu beleuchten, grenzt an Hexerei. Bei aller Vertracktheit sollen einzelne Stimmen sich wunschgemäß auch noch ausnehmen wie ätherische Flötenklänge oder schmetternde Trompetenfanfaren. Auch das realisiert Levit, inklusive aller subtilen „Dolce“- und dramatischen „Energico“-Vorschriften; diese Musik, als trocken verrufen, lebt, fesselt, bezaubert in ihrer steten harmonischen Verdichtung, reflektiert überdies durch die Hereinnahme des Chorals „Allein Gott in der Höh sei Ehr“Bachs Maxime „Soli Deo Gloria“.
Dazu Liszts Bach-Variationen „Weinen, klagen, sorgen, zagen“, ein verzweifelter Trauergesang auf den Tod der Tochter Blandine, gefolgt von „Sunt lacrymae rerum“aus dem verrätselten Dritten Band der „Annees´ de p`elerinage“, dessen karge Momente Elemente von Busonis Stilistik vorauszuahnen scheinen. Die Chromatik der Bach-Variationen reichert sich hier tastend, suchend immer um Terz- oder QuartIntervalle an – und herein klingen, wie von Ferne, halbvergessen, alte magyarische Rhapsodien-Echos. Wer dergleichen nachdenkliche Sprödigkeiten in Klangwunder verwandelt, erntet rechtens Ovationen eines staunenden Publikums.