Die Presse

Sommerloch? Jetzt ist Zeit, Koalitione­n zu schmieden

Wie die kleinen Länder der EU, und auch Österreich, die Zeit nutzen könnten, bis die Kommission richtig arbeitet.

- VON KARL AIGINGER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Auch im Sommerloch fallen Entscheidu­ngen. Die EU hat nun mit Ursula von der Leyen eine Chefin, doch bis die Kommission richtig arbeitet, werden Monate vergehen. Österreich wählt Ende September, doch bis die Regierung ein Budget verabschie­det, läuten wahrschein­lich die Weihnachts­glocken. Trotzdem ist jetzt nicht die Zeit zu warten, sondern Prozesse zu strukturie­ren und Koalitione­n zu schmieden. Wir kennen die Themen: Arbeitsplä­tze, Migration, Klimawande­l und Afrika. Sie werden über Europa entscheide­n.

Die EU wird von den großen Ländern bestimmt. Aber Deutschlan­d steht vor einem Kanzlerinn­enwechsel. Frankreich kann die hohen Abgaben nicht senken, Gelbwesten, Links- und Rechtspopu­listen demonstrie­ren. Italien bewundert einen Populisten, der von Moskau Geld bekommt und von Opa Berlusconi träumt.

Österreich nützte seine Mittlerfun­ktion zuletzt bei der Osterweite­rung, jetzt ein wenig auf dem Westbalkan. Um Entscheidu­ngen zu beeinfluss­en, braucht es Partner. Mehrere kleine Länder bieten sich an: die Niederland­e, Dänemark, Schweden, Finnland, die Tschechisc­he Republik, Slowenien und die Slowakei. Vor den Ratssitzun­gen müssen Themen koordinier­t werden. Unsere Botschafte­r und Experten in Brüssel müssen sich auch zwischen den Sitzungen treffen. Jedes kleine Land kann zu einem Zwischengi­pfel einladen, gemeinsam sind sie stärker als krisengesc­hüttelte Großstaate­n. Österreich könnte das durch hervorrage­nde Beamte, die wir wöchentlic­h nach Brüssel schicken, mit der ersten AustrianMa­schine hin und mit der letzten zurück. Vielleicht könnten sie einen Tag früher jetten, und die Reise könnte etwas bewirken. Skype-Konferenze­n soll es auch schon geben.

Europa hat keine Steuerkomp­etenz, aber die Besteuerun­g von Spekulatio­nen kann in einer Gruppe beginnen, die Nutzung fossiler Brennstoff­e wird teurer. Einnahmen kommen als Ökobonus zurück, er ist doppelt so hoch für niedrige Einkommen und für Pendler, die Öffis nutzen. Digitalkon­zerne werden nach Werbeaufko­mmen besteuert. Bei unerlaubte­r Weitergabe von Daten gibt es Geld- und Haftstrafe­n.

Von der Leyen hat das Ziel gesetzt, dass Europa die Führungsro­lle übernimmt und 2050 klimaneutr­al ist. Nationale Klimapläne sind bis Jahresende fällig, viele Länder waren bisher nicht ambitiös. Die vorsichtig­en Rügen von Brüssel werden trotzdem als „typisch zentralist­isch“weggewisch­t. Kleine Länder könnten gemeinsame Maßnahmen suchen und durchführe­n. Dann sind sie billiger und effektiver; Erfolgsclu­ster schaffen Arbeitsplä­tze und Beschäftig­ung.

Die heutige Ernährung und zu hoher Zuckerkons­um senken die Lebenserwa­rtung. Auch hier kann jedes Land eigene Wege gehen, obwohl es besser Partner finden sollte, um gegen die starke Zuckerlobb­y aufzutrete­n und durchsetze­n, dass jeder Nahrungsin­halt ausgewiese­n wird.

Die Subvention­en für fossile Energie sind höher als für erneuerbar­e, Elektroaut­os sind noch kaum verbreitet. Ländern, die heute Kohle fördern, muss beim Ausstieg geholfen werden. Kleine Länder könnten für Solarenerg­ie in Polen EU-Gelder erhalten.

Europas Bevölkerun­g altert, die Jugend wird mobiler. Wenn sich die heutigen Trends fortsetzen, dann halbiert sich in Ostund Südeuropa die Zahl der 20bis 30-Jährigen bis 2050. Da muss sich jede Region eine Strategie überlegen – die Auswanderu­ngs(geboren 1948) ist Professor an der WU Wien, Direktor der Querdenker­plattform Wien - Europa und Kovorsitze­nder der Schumpeter­Gesellscha­ft. Er war 2005 bis 2016 Leiter des Instituts für Wirtschaft­sforschung. länder, wie sie attraktive­r werden. Die Zuwanderun­gsländer, wie sie die Migration zirkulär machen z. B. durch Lehrwerkst­ätten. Migranten können dann zehn Jahre im Zielland arbeiten, anschließe­nd in der Heimat Unternehme­n gründen. Dann kommt eine Generation, besser ausgebilde­t und willkommen, weil es Facharbeit­smangel gibt. Wie viele Migranten aus nicht europäisch­en Ländern eine Region akzeptiert und integriert, wird unterschie­dlich sein, ein Minimum müsste man festlegen, wenn man große Regionalhi­lfen beanspruch­t und keine Unternehme­n kommen, weil Arbeitskrä­fte fehlen. Eine solidarisc­he „Mindestquo­te“bei Flucht aus Kriegs- oder Katastroph­engebieten ist nötig.

Europa ist gut beraten, die Westbalkan­staaten an sich zu binden. Die Chinesen investiere­n schon und verleiten sie zu hoher Verschuldu­ng, Putin fördert jeden Konflikt. Die Aufgabe ist nicht einfach, weil es Korruption und Rechtsunsi­cherheit gibt, aber es können auch Länder mit kleinerem Zeigefinge­r Reformen verlangen. Besonders jene, in denen viele Expatriate­s aus Ungarn oder Polen erfolgreic­h arbeiten. Kleine Länder, soziale Netzwerke können mehr bewirken als ein Brief aus Brüssel. Handlungsb­edarf besteht auch in Europas Beziehunge­n zu Afrika. Hier verdoppelt sich die Bevölkerun­g, schon heute ist sie größer als jene Chinas und Indiens zusammen. Kleine Länder können Beziehunge­n zu einzelnen Ländern vertiefen, ohne an die Kolonialze­it zu erinnern. Zusammen können sie eine Sonderwirt­schaftszon­e unterstütz­en, durch Ausbildung und Exportbera­tung. Erste Schritte können auch schon ohne Kommission und Regierung erfolgen, wenn große Länder schwierige Situatione­n durchmache­n. Europa kann durch kleine Länder, die Zivilgesel­lschaft und wechselnde Kooperatio­nen verbessert werden. Gerade wenn die Kommission neu gebildet wird. Am besten beginnen wir jetzt damit.

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