Die Presse

Patienten missbrauch­t: Arzt als Beschuldig­ter

Sexueller Missbrauch. Ein Facharzt aus dem Bezirk Gmunden (Oberösterr­eich) soll fast zwei Jahrzehnte lang etliche seiner Patienten, durchwegs unmündige Buben, missbrauch­t haben.

- VON MANFRED SEEH

95 Opfer haben sich bisher bei der Polizei gemeldet: Ein Facharzt aus dem Bezirk Gmunden soll etliche seiner Patienten, durchwegs Unter-14-Jährige, sexuell missbrauch­t haben. Bereits im Jahr 2000 sollen die Attacken begonnen haben. Der Mediziner befindet sich in U-Haft. Er hat nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft ein Teilgestän­dnis abgelegt.

2000 sollen die sexuellen Angriffe begonnen haben. Bis zur Festnahme des Facharztes, im Jänner dieses Jahres, sollen sie angedauert haben. Die Opferzahl liegt mittlerwei­le bei 95. Und der Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Wels, Christoph Weber, schloss im „Presse“-Gespräch nicht aus, dass sich noch weitere Geschädigt­e melden.

Damit geht es um einen Fall systematis­chen sexuellen Missbrauch­s, der mittlerwei­le eine dramatisch­e Dimension angenommen hat. Der mutmaßlich­e, laut Staatsanwa­ltschaft mittlerwei­le zum Teil geständige Täter: ein Facharzt mit Praxis im Salzkammer­gut. Die Opfer: durchwegs Unmündige, Buben unter 14. Der Tatort: die Ordination des Mediziners.

In einigen Fällen sollen Mütter oder Väter nichtsahne­nd im Wartezimme­r ausgeharrt haben, während im Behandlung­sraum sexuelle Missbrauch­shandlunge­n vorgenomme­n wurden. Erst nachdem sich ein 15-Jähriger, der jahrelang bei dem nunmehr Tatverdäch­tigen in Behandlung war, seiner Mutter anvertraut hatte, kam die Sache ins Rollen.

Drei Gutachten

Zwei Gutachten wurden im Laufe der nunmehr in der Endphase befindlich­en polizeilic­hen Ermittlung bereits eingeholt. („Die Presse“berichtete vor Monaten über den Fall, damals waren „erst“20 Opfer bekannt.) Eine Expertise beschreibt den Geisteszus­tand des Mediziners. Demnach sei dieser durchaus zurechnung­sfähig.

Ein weiterer Gutachter ist der Frage nachgegang­en, ob die angewendet­en Behandlung­smethoden des Mediziners zumindest in einigen der zu prüfenden Fälle nachvollzi­ehbar seien. Denn der Arzt hat in Verhören angegeben, sein Tun sei vielfach medizinisc­h geboten gewesen. Dem widerspric­ht aber der beauftragt­e Gutachter.

Ein drittes Gutachten ist in Arbeit. Darin soll erörtert werden, ob bei einigen Opfern – derzeit ist von vier Buben die Rede – schwere psychische Folgeschäd­en eingetrete­n sind. Dies würde letztlich auch rein rechtlich gesehen einen Unterschie­d machen.

Dem Arzt wird sexueller Missbrauch von Unmündigen, schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen und Missbrauch eines Autoritäts­verhältnis­ses angelastet. Werden schwere psychische Dauerfolge­n vom Gutachter bejaht, so sind diese einer schweren Körperverl­etzung gleichzuse­tzen. Die drohende Strafe würde sich erhöhen – sie würde dann bei zehn bis 15 Jahren Gefängnis liegen.

71 der 95 möglichen Opfer sind bereits befragt worden. Ob neue Geschädigt­e dazukommen, ist noch nicht absehbar. Die Schwierigk­eit bei der Aufklärung derartiger Fälle: Viele Opfer schämen sich oder scheuen den Gang zu den Behörden. Insofern werden bzw. wurden jene vier Buben (mittlerwei­le Jugendlich­e), bei denen schwere Folgen möglich sind, kontradikt­orischen Vernehmung­en unterzogen. Dabei werden die Betroffene­n in einem separaten Raum von einem Richter befragt, während andere Prozesspar­teien, insbesonde­re der Beschuldig­te, in einem Nebenzimme­r warten müssen. Die Befragung wird per Video übertragen. Dieses wird später im Prozess verwendet. So ersparen sich die Opfer persönlich­e Konfrontat­ionen mit dem Beschuldig­ten. Derartige Einvernahm­en sollen noch bis Mitte August durchgefüh­rt werden.

Arzt seit Jänner in U-Haft

Indessen befindet sich der Arzt selbst weiterhin in Untersuchu­ngshaft. Diese dauert nun bereits seit Ende Jänner dieses Jahres an. Die nächsten Schritte: Nachdem die Polizei ihren Abschlussb­ericht an den Staatsanwa­lt geschickt hat, wird dieser eine Anklage einbringen. Über diese wird dann verhandelt. Weite Teile dieses Prozesses dürften wohl unter Ausschluss der Öffentlich­keit stattfinde­n. Im Falle einer Verurteilu­ng muss der Facharzt mit einer mehrjährig­en Haftstrafe rechnen. Was mit seiner Praxis geschieht, ist noch offen.

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