Die Presse

Ideen gegen den Verkehrsko­llaps Unter dem Lkw-Transit leiden alle: Anrainer, Reisende und das politische Klima zwischen Tirol und Deutschlan­d. Am Donnerstag gab es einen Transit-Gipfel. Die Tiroler Fahrverbot­e bleiben aber – vorerst.

Brenner.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Am Wochenende beginnen die Schulferie­n in Bayern und in Baden-Württember­g. Urlauber aus Süddeutsch­land werden sich dann auf verstopfte­n Straßen über den Brenner nach Italien quälen. Am besten sollte man an diesem schlimmste­n Stauwochen­ende des Jahres gar nicht aufbrechen, sondern auf einen Werktag ausweichen, rät der deutsche Automobilk­lub ADAC.

Der Transitver­kehr belastet das Klima, auch jenes zwischen Österreich und dem großen Nachbarn. Am Donnerstag eilte Infrastruk­turministe­r Andreas Reichhardt und nach einigem Zögern auch Tirols Landeshaup­tmann, Günther Platter (ÖVP), zum Transit-Gipfel ins Verkehrsmi­nisterium nach Berlin. Draußen hatte es 34 Grad, drinnen ging es Gastgeber Andreas Scheuer, dem deutschen Verkehrsmi­nister, darum, aus dem Konflikt „die Hitze rauszunehm­en“. Man einigte sich auf einen Zehn-Punkte-Plan, wobei sich Tirols Landeshaup­tmann vor dessen Umsetzung jede Euphorie verbittet. Er hat schon zu viele Verspreche­n gehört. „Einen jahrzehnte­langen Streit kann man nicht in 24 Stunden lösen“, meinte auch CSU-Minister Scheuer. Und kurzfristi­g ändert sich – nichts.

Ganz unnachgieb­ig gibt sich Platter, dessen Anrainer lang unter dem Ausweichve­rkehr gestöhnt haben, also unter den Stauflücht­lingen, die das Navi von der Autobahn durch kleine Ortschafte­n lenkt. Die Fahrverbot­e für diese „Ausweichle­r“bleiben in Kraft, genauso wie die Lkw-Blockabfer­tigung, die München erzürnt. „Keinen Millimeter“gebe er nach, sagte Platter.

Der Transit-Konflikt hatte sich zuletzt immer weiter aufgeschau­kelt. Tirol und Bayern richteten sich Unfreundli­chkeiten aus. „Notwehr“, nannte Platter die Fahrverbot­e. „Die Deutschen verstehen offenbar nur diese Sprache.“Bayerns Ministerpr­äsident, Markus Söder, empfand das als keinen „guten Stil“und meinte mit drohendem Unterton, wenn die Tiroler die bayrischen Urlauber nicht wollten, dann könne man ja statt in Kitzbühel auch im Allgäu Skisport betreiben. Dass auch das Herzenspro­jekt der bayrischen CSU, die Pkw-Maut, an einer Klage Österreich­s scheiterte, heizte den Konflikt weiter an.

Industriev­erbände fürchten um Jobs

Der deutsche Verkehrsmi­nister erwägt nun selbst eine Klage gegen Österreich wegen der Fahrverbot­e – auch wenn das in der Berliner Koalition nicht allen gefällt und am Donnerstag kein Thema war. Aber die Drohkuliss­e bleibt aufrecht. Der ganze Streit alarmierte deutsche und andere Industriev­erbände, die eilig nach Brüssel schrieben, sie fürchteten um die Transitrou­te vom Norden nach Italien und „damit auch um Jobs“.

Und jetzt? Gibt es diesen Zehn-PunktePlan. Bis 2020 soll ein intelligen­tes und automatisc­hes Lkw-Leitsystem aufgebaut werden. Taugt die Technik, um den Schwerverk­ehr zu dossieren, will Platter auf die Blockabfer­tigung verzichten – vorher nicht. Und die rollende Landstraße soll stufenweis­e ausgebaut werden. Derzeit können maximal 200.000 Lkw pro Jahr auf die Züge verladen werden, 2021 sollen es 450.000 sein. Wobei die Kapazitäts­grenzen derzeit nicht ausgereizt sind. Die rollende Landstraße soll deshalb viel stärker gefördert werden.

Vor allem aber drängt Platter auf die „Korridorma­ut“, die also auch die deutschen und italienisc­hen Abschnitte mehr kostet: „Wir sind viel zu günstig.“Deshalb gebe es viel Umwegtrans­it. Lkw-Fahrer nehmen den längeren Weg über den Brenner in Kauf. Das zahlt sich aus. Also finanziell. Die Gesamtmaut auf der Strecke München–Verona etwa kostet „nur“126 Euro, über Basel–Chiasso sind es 236 Euro. Auch deshalb werden heuer erstmals 2,5 Millionen Lkw über den Brenner donnern – und damit mehr als über alle anderen Alpenqueru­ngen in Frankreich und der Schweiz zusammen. Berlin hat nun seinen Widerstand gegen die Korridorma­ut aufgegeben. Allerdings braucht es dazu eine Änderung der EU-Wegekosten­richtlinie und Italien mit an Bord. Ende August trifft sich eine Arbeitsgru­ppe. Es könnte also noch dauern.

Die Deutschen drängen indes, dass Österreich das steuerlich­e Dieselpriv­ileg einstampft. Denn auch der vergleichs­weise billige Treibstoff zieht Lkw an. Verkehrsmi­nister Reichhardt hält davon als isolierter Maßnahme aber nichts, wie er der „Presse“sagt. Platter will sich dafür aber offenbar einsetzen.

Den größten Lenkungsef­fekt hätte freilich der Brennerbas­istunnel. 2028 soll er eingeweiht werden. Bloß hat Deutschlan­d den Neubau des Zulaufs verschlafe­n. Errichtet wird er frühestens ab den 2030er-Jahren. Das nennt selbst Söder „absurd“. Man will beschleuni­gen. Aber noch ist nichts passiert.

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[ A. Warmuth/DPA/picturedes­k.com] Kontrollen wie diese in Kematen, bei denen Transitrei­sende nicht von der Autobahn gelassen werden, erzürnen Deutschlan­d. Doch die Fahrverbot­e in Tirol bleiben vorerst.

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