Die Angst vor der „gelben Gefahr“
China. Das Schlagwort von der „gelben Gefahr“steht in der Geschichte für die irrationalen Angstträume ganzer Generationen. Droht ein Handelskrieg, wird es wieder aktuell.
Ein Schlagwort, das für die irrationalen Angstträume ganzer Generationen steht.
Je unwahrscheinlicher eine historische Anekdote ist, desto eher wird sie geglaubt, besonders wenn sie mit latenten Ängsten spielt. Solche Fake News, die bei den Zeitgenossen zu Gänsehaut führten, gab es selbstverständlich schon immer. Bei der Wiener Weltausstellung von 1873 habe sich angeblich ein chinesischer Delegierter bei seinem französischen Kollegen für ein Entgegenkommen bedankt und ihm dafür ein schriftliches Dokument übergeben: Für den Fall, dass einmal chinesische Truppen in die französische Hauptstadt einmarschieren würden, sei dessen Haus mit diesem Stück Papier vor der Zerstörung geschützt.
Mit der Urangst vor denen aus dem Osten konnte man offenbar auch intelligente Menschen ansprechen. „Die kleinen Leute mit den tief liegenden Augen und den stumpfen Nasen“würden wie einst die Hunnen „viel rohes Fleisch unter dem Sattel mürbe reiten“auf ihrem Weg nach Westen, konnte man lesen. Der französische Kulturpessimist Arthur de Gobineau schrieb einen rassistischen Bestseller, der ebenfalls Furcht vor der Ausbreitung der Chinesen und einer gelben Invasion Europas schürte.
Da waren die ersten Kontakte mit China und die Berichte darüber bereits Jahrhunderte her. Der österreichische Weltreisende Christoph Karl Fernberger war im 17. Jahrhundert bis in den Fernen Osten gekommen, er bezeichnete die Chinesen als absolut friedfertig und sah nicht einmal den Schatten einer Bedrohung von dem Volk ausgehen. Der Südtiroler Martino Martini schrieb in der Barockzeit einen Bestseller „De bello tartarico“und rühmte ebenfalls die Friedfertigkeit dieses Volkes. Man würde es als unschicklich empfinden, dort mit einer Waffe auf die Straße zu gehen. In der europäischen Literatur dominierten Abhandlungen über die friedfertige Philosophie des Konfuzius. Von einer Bedrohung Europas war also keine Rede, vielmehr machte man sich lustig über die militärische Ohnmacht der Chinesen. Missionare des 19. Jahrhunderts gingen das Thema weniger intellektuell an als die Jesuiten der Barockzeit und orteten eine spirituelle Gefahr. Das Symbol des Drachen kam ihnen gerade recht, er steht im Christentum für die Sünde schlechthin.
Es waren immer wieder die Hunnen, die bemüht wurden, auch vom deutschen Kaiser Wilhelm II., als er seine Truppen zur Unterdrückung des Boxeraufstands nach China entsandte. Wilhelm war stolz darauf, das Schlagwort von der „gelben Gefahr“geprägt zu haben, vorher war eher vom „gelben Schrecken“oder dem „gelben Gespenst“die Rede gewesen. Oft war auch Japan damit gemeint, das sich vom europäischen Imperialismus einiges abgeschaut zu haben schien.
Erzengel gegen Drache
Und natürlich gab es im Mächteringen der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auch strategische Interessen: Wenn es gelänge, die russische Aufmerksamkeit gegen die Gefahr aus China zu lenken, so hätte man in Europa Ruhe an den russischen Grenzen. So wurde hinausposaunt: „Völker Europas, wahrt eure heiligen Güter“, der Erzengel Michael stand gegen einen feuerspeienden Drachen, Arier gegen Mongolen. Abendlandretter haben immer wieder Konjunktur.
Was wie ein Begriff aus einer Vulgärzone, nämlich der Welt der Propaganda, der Tagesparolen und der Schlagwörter klingt, eröffnet also durchaus eine Sicht auf weltpolitische Zusammenhänge, aber auch auf die Angstträume ganzer Generationen. 1798 hat Thomas Robert Malthus eine pessimistische Bevölkerungstheorie entwickelt. Die Menschen würden sich progressiv vermehren, die Nahrungsproduktion könne nicht damit Schritt halten. Das „Pressen gegen den Nahrungsspielraum“treibe vom Hunger getriebene Menschenmassen unaufhaltsam quer durch die Kontinente. Das wurde in der Folge gleichgesetzt mit dem Druck asiatischer Volksmengen, zu einer Zeit, als diese Lehre schon längst bestritten wurde. Geschichtlich höchst effektive Ideologien wie der Imperialismus nähren sich gern mit gesunkenem Geistesgut, auch wenn das wissenschaftliche Denken bereits längst zu neuen Ufern aufgebrochen ist. Hitlers Rassenideologie hatte ihren Nährboden ebenfalls in längst vergangenen Theorien.
Die Art und Weise, wie die „gelbe Gefahr“aus dem Fernen Osten die weißen Völker überrollen würde, wurde nicht eindeutig definiert. Nur die Dümmeren ließen sich mit der Erinnerung an die Mongolen verschrecken und rechneten mit einer bevorstehenden Überflutung durch Migrationsströme aus Asien. Die Argumente waren primär wirtschaftliche, und sie ähnelten denen, die man heute in den Warnungen vor China immer zu hören bekommt. Man befürchtete Ende des 19. Jahrhunderts in der Arbeiterschaft des Westens die Konkurrenz der billigen „gelben Kulis“, die sich mit einem niederen Lebensstandard zufriedengeben und den westlichen Arbeitsmarkt unterwandern würden. Besonders in den USA, die für den Eisenbahnbau und die Bergwerke chinesische Arbeitskräfte eigentlich gerufen hatten, schürte man nun die Angst vor den Fremdarbeitern: „The Chinese must go.“Die antichinesische Hysterie führte zu Ausschreitungen und 1882 zu einem „Exclusion Act“. Ganz im Stil aktuellen Polit-Rabaukentums sprach man in den USA von der minderen und verdorbenen Moral der Fremden. Zum Schutz des Landes wurde von einer „chinesischen Mauer“gesprochen, um die Einwanderung abzuwehren.
Konkurrenz auf den Weltmärkten
Die Erfolge der japanischen Industrialisierung riefen in Europa und den USA Angst hervor. Man exportiere Maschinen in den Fernen Osten und stelle ihm damit den gesamten technischen Apparat des Westens zur Verfügung, so die Protektionisten und Vertreter einer Schutzzollpolitik. Zudem entwarf man das Zukunftsbild vollständiger politischer Emanzipation der großen „gelben Nationen“. Gut bewaffnet würden sie aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit zuerst die Vorherrschaft in ganz Asien und schließlich die Weltherrschaft erlangen. „Japan und das durch Japan neu belebte China drohen uns auf abscheuliche und ungeheuerliche Weise auf den Weltmärkten Konkurrenz zu machen; der bloße Gedanke daran lässt unseren Nationalökonomen die Haare zu Berge steigen“, schrieb der angesehene Publizist Anatole France Ende 1904. Dass sich China soeben als militärisch machtlos erwiesen hatte, störte die völlig unlogische Argumentation nicht im Mindesten.
Der österreichische Diplomat und Sinologe Arthur von Rosthorn meldete sich bei den Pariser Friedensverhandlungen 1919 in einem Memorandum recht unverblümt zu Wort: „Nirgends hat das arg missbrauchte Wort von ,Kulturmission‘ der zivilisierten Staaten kläglicher Fiasko gemacht, nirgends spiegelt sich deutlicher die hypokritisch verkleidete Herrschsucht und Raubgier des europäischen Menschen.“
Anfang der 2000er-Jahre nahmen die Warnungen vor der wirtschaftlichen Gefahr eines expandierenden China wieder zu. „Unvermeidbare Gewichtsverlagerungen, die sich aus Chinas wirtschaftlichem Aufstieg erheben, beleben alte Befürchtungen über Pekings Großmachtambitionen“, schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“2005, die Weltwirtschaft tanze bereits nach Chinas Pfeife, meinte die „Financial Times“geraume Zeit, bevor Trump loslegte.