Proteststurm gegen Ricky
Puerto Rico. RickyLeaks, ein Sittenbild der politischen Elite, stachelte den Volkszorn an, der den Gouverneur jetzt zum Rücktritt trieb.
In der Altstadt von San Juan, rund um den Amtssitz La Fortaleza, brachen zu mitternächtlicher Stunde Jubelschreie aus. Kurz zuvor hatte Ricardo Rosselo´ seinen Rücktritt für die kommende Woche angekündigt. Tagsüber hatten Gerüchte über den Rückzug des Gouverneurs in Puerto Rico die Runde gemacht, doch Stunde um Stunde verrann ohne Vollzugsmeldung in der politisch aufgeheizten Atmosphäre der Karibikinsel.
Es war der letzte, zwangsläufige Schritt im Erosionsprozess, der die Regierung nach Rücktritten mehrerer Minister in einer Korruptionsaffäre und im Zuge des Skandals um RickyLeaks erfasst hat. Ein Investigativnetzwerk hatte Mitte Juli auf fast 900 Seiten die Gespräche des Gouverneurs und elf seiner Kumpane in einer Chat-Gruppe enthüllt, in denen sie sich abfällig und sarkastisch über Frauen, Oppositionspolitiker, prominente Homosexuelle wie den Popstar Ricky Martin und vor allem über die Opfer des Hurricans Maria äußerten, der im September 2017 rund 3000 Tote gefordert hatte.
Das miserable Krisenmanagement beim Wiederaufbau verfolgt die Regierung bis heute, und es fehlt vielfach immer noch an Strom. Die Dialoge offenbaren jetzt ein Sittenbild der politischen Elite des Landes, das ein US-Territorium mit Sonderrechten ist und deren Bürger US-Staatsbürger sind – allerdings ohne Wahlrecht und politische Vertretung in den USA.
Stück für Stück hat Ricky Rosselo,´ der 40-jährige Spross eines ExGouverneurs, die Macht verloren. Er entschuldigte sich, er kündigte den Verzicht auf die Wiederwahl und seinen Rücktritt vom Vorsitz der Progressiven Partei an. Nichts half. Sein Stabschef legte sein Amt nieder, „El Nuevo D´ıa“, die wichtigste Zeitung, forderte seinen Rücktritt ebenso wie ein Großspender. Und zuletzt drohte das Parlament auch noch, ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten.
Es war letztlich jedoch eine Protestbewegung, die den Gouverneur hinwegfegte – ein Ventil für den Frust über die Rezession, den Staatsbankrott, den rigiden Sparkurs, die Korruption, die Unfähigkeit der politischen Kaste, die Hunderttausende in die USA trieb.
„Ricky rinuncia“, „Ricky, tritt zurück“: So tönte es zwei Wochen lang in der Hauptstadt San Juan. Machtvoll ist die Parole am Montag angeschwollen, als bis zu einer halben Million Menschen in den Straßen San Juans zur größten Demonstration in der Geschichte der Insel zusammenströmten, in einem bunten, folkloristischen Zug gegen Ricky mobilmachte und in lateinamerikanischer Manier auf Töpfe und Pfannen schlug. Darunter waren Stars wie Ricky Martin und Größen des Latino-Pop, die einen Protestsong komponierten.
In seltener Einmütigkeit unterstützten auch zwei Politiker in Washington den Machtwechsel: USPräsident Donald Trump und Alexandria Ocasio-Cortez, die AntiTrump-Wortführerin mit puertoricanischen Wurzeln.
Weil möglicherweise auch Justizministerin Wanda Vazquez´ als Nachfolgerin Rosselos´ diskreditiert ist, steigen bei der Wahl 2020 die Chancen von Carmen Yul´ın Cruz, der Bürgermeisterin von San Juan, die sich als Trump-Kritikerin einen Namen gemacht hat.