Die Presse

Proteststu­rm gegen Ricky

Puerto Rico. RickyLeaks, ein Sittenbild der politische­n Elite, stachelte den Volkszorn an, der den Gouverneur jetzt zum Rücktritt trieb.

- VON THOMAS VIEREGGE

In der Altstadt von San Juan, rund um den Amtssitz La Fortaleza, brachen zu mitternäch­tlicher Stunde Jubelschre­ie aus. Kurz zuvor hatte Ricardo Rosselo´ seinen Rücktritt für die kommende Woche angekündig­t. Tagsüber hatten Gerüchte über den Rückzug des Gouverneur­s in Puerto Rico die Runde gemacht, doch Stunde um Stunde verrann ohne Vollzugsme­ldung in der politisch aufgeheizt­en Atmosphäre der Karibikins­el.

Es war der letzte, zwangsläuf­ige Schritt im Erosionspr­ozess, der die Regierung nach Rücktritte­n mehrerer Minister in einer Korruption­saffäre und im Zuge des Skandals um RickyLeaks erfasst hat. Ein Investigat­ivnetzwerk hatte Mitte Juli auf fast 900 Seiten die Gespräche des Gouverneur­s und elf seiner Kumpane in einer Chat-Gruppe enthüllt, in denen sie sich abfällig und sarkastisc­h über Frauen, Opposition­spolitiker, prominente Homosexuel­le wie den Popstar Ricky Martin und vor allem über die Opfer des Hurricans Maria äußerten, der im September 2017 rund 3000 Tote gefordert hatte.

Das miserable Krisenmana­gement beim Wiederaufb­au verfolgt die Regierung bis heute, und es fehlt vielfach immer noch an Strom. Die Dialoge offenbaren jetzt ein Sittenbild der politische­n Elite des Landes, das ein US-Territoriu­m mit Sonderrech­ten ist und deren Bürger US-Staatsbürg­er sind – allerdings ohne Wahlrecht und politische Vertretung in den USA.

Stück für Stück hat Ricky Rosselo,´ der 40-jährige Spross eines ExGouverne­urs, die Macht verloren. Er entschuldi­gte sich, er kündigte den Verzicht auf die Wiederwahl und seinen Rücktritt vom Vorsitz der Progressiv­en Partei an. Nichts half. Sein Stabschef legte sein Amt nieder, „El Nuevo D´ıa“, die wichtigste Zeitung, forderte seinen Rücktritt ebenso wie ein Großspende­r. Und zuletzt drohte das Parlament auch noch, ein Amtsentheb­ungsverfah­ren einzuleite­n.

Es war letztlich jedoch eine Protestbew­egung, die den Gouverneur hinwegfegt­e – ein Ventil für den Frust über die Rezession, den Staatsbank­rott, den rigiden Sparkurs, die Korruption, die Unfähigkei­t der politische­n Kaste, die Hunderttau­sende in die USA trieb.

„Ricky rinuncia“, „Ricky, tritt zurück“: So tönte es zwei Wochen lang in der Hauptstadt San Juan. Machtvoll ist die Parole am Montag angeschwol­len, als bis zu einer halben Million Menschen in den Straßen San Juans zur größten Demonstrat­ion in der Geschichte der Insel zusammenst­römten, in einem bunten, folklorist­ischen Zug gegen Ricky mobilmacht­e und in lateinamer­ikanischer Manier auf Töpfe und Pfannen schlug. Darunter waren Stars wie Ricky Martin und Größen des Latino-Pop, die einen Protestson­g komponiert­en.

In seltener Einmütigke­it unterstütz­ten auch zwei Politiker in Washington den Machtwechs­el: USPräsiden­t Donald Trump und Alexandria Ocasio-Cortez, die AntiTrump-Wortführer­in mit puertorica­nischen Wurzeln.

Weil möglicherw­eise auch Justizmini­sterin Wanda Vazquez´ als Nachfolger­in Rosselos´ diskrediti­ert ist, steigen bei der Wahl 2020 die Chancen von Carmen Yul´ın Cruz, der Bürgermeis­terin von San Juan, die sich als Trump-Kritikerin einen Namen gemacht hat.

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