„Im Parlament werden Grenzen überschritten“
Interview. Ex-Umweltministerin Elisabeth Köstinger über viel zu billige Flüge nach Mallorca, jenseitige Debatten im Hohen Haus und den „nur so raussprudelnden“Alltagssexismus. Nationalratspräsidentin will sie kein zweites Mal werden.
Die ÖVP hat den Kampf gegen den Klimawandel relativ spät entdeckt. Das glaube ich nicht. Joschi Riegler war der Erfinder der ökosozialen Marktwirtschaft. Seine Idee ist heute aktueller denn je – dass man die Ökologie mit den sozialen Aspekten und der Marktwirtschaft in Einklang bringt. Von dem her ist der Kampf gegen den Klimawandel in der DNA der ÖVP. Ich war Energieministerin. Daher weiß ich, dass jeder sagt: „Klimaschutz ja – aber bitte nicht vor meiner Haustür.“Speziell bei Infrastrukturprojekten kommt es schnell zu Interessenkonflikten. Ich bin der Meinung, dass man alles, was CO2 reduziert, auf die Überholspur bringen soll.
Müsste man dann nicht den Bau der dritten Piste auf dem Wiener Flughafen anders sehen? Ich glaube nicht, dass ohne dritte Piste weniger geflogen wird. Es ist ein Irrglaube, wenn wir in Österreich die Infrastruktur nicht haben, dass dann das Problem weg ist. So etwas Globales wie der Flugverkehr braucht gesamtheitliche Lösungen. Deswegen: Es braucht faire Besteuerung zum Beispiel von Kerosin auf europäischer Ebene.
Dann würde das Fliegen auch teurer werden? Ja. Aber ich halte es ehrlich gesagt eh für falsch, wenn man um weniger als 100 Euro nach Mallorca kommt. Deswegen sollte man viel stärker in den öffentlichen Verkehr investieren. Auch in Nachtzüge. Heute habe ich de facto gar nicht die Chancen, dass ich nach Brüssel mit dem Zug fahre.
Gab es da ein Versagen? Etwa der ÖBB? Die ÖBB hat in den vergangenen Jahren so viel Geld wie noch nie in den Infrastrukturausbau investiert. Da ist etwas weitergegangen. Aber es braucht schon auch ein Umdenken bei den Menschen selbst. Die Infrastruktur das eine, das Angebot annehmen ist das zweite.
Trotzdem scheut die ÖVP vor der Ankündigung gröberer Maßnahmen zurück. Ich denke da an eine CO2-Steuer oder an das Verbot von Inlandsflügen. Die Frage ist, ob es wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Wir gehen den Weg über Anreize und nicht wieder über höhere Steuern. Die Leute brauchen Alternativen zum Individualverkehr. Man kann ein Pendlerpauschale nicht abschaffen. Man muss es mit ökologischen Anreizen versehen. Das Pendlerpauschale ist ein Beispiel dafür, dass etwas privilegiert wird, was nicht dem Kampf gegen den Klimawandel dient. Die Leute fahren nicht zum Spaß. Sie fahren in die Arbeit. Es gibt eine Ungleichbehandlung zwischen denen, die in der Stadt leben, und jenen auf dem Land.
Was ist Ihre Rolle in der türkisen Bewegung? Sind Sie eine Art Nummer zwei oder drei? Oder ist das Gernot Blümel? Nein, wir sind ein Team, und da gibt es relativ wenig Hierarchien. Wir verstehen uns sehr gut, und wir sind eigentlich im permanenten Austausch. Hat dieser innere Kreis eine eigene WhatsApp-Gruppe? Nein, es ist nicht WhatsApp. Eine Signal-Gruppe? Auch nicht. Es ist sehr flexibel.
Werden Sie wieder Nationalratspräsidentin? Das halte ich für ausgeschlossen. Ihr Nachfolger, Wolfgang Sobotka, hat im Parlament, als der Vorwurf der Bestechlichkeit im Raum stand, etwas die Contenance verloren. Hätte Ihnen das genauso passieren können? Die Debatte war so derartig jenseitig. Vielleicht hat er sich etwas schwerer getan, weil er direkt vor dem total eskalierenden Jörg Leichtfried gestanden ist. Im Parlament werden zum Teil Grenzen wirklich überschritten.
Haben Sie im Parlament auch sexistische Bemerkungen gegen Sie wahrgenommen? Ich habe einige Situationen gehabt, in denen ich wirklich einmal geschluckt habe. Das kommt sehr oft von denen, die sich speziell Emanzipation und Gleichstellung ganz hoch auf die Fahnen heften.
Ungeniert gedeiht Sexismus im Netz. Kann man nichts gegen Hasspostings tun? Mei, es ist so schwer, es ist oft entlang einer Grenze. Es hat eine Gruppe gegeben, die Maßnahmen erarbeitet hat. Ich glaube, dass der Alltagssexismus, der überall dabei ist, das Problem ist. Das sprudelt zum Teil nur so raus.
Zu den Wahlen: Ist eine Regierung mit der FPÖ für Sie überhaupt noch gangbar? Jetzt muss einmal gewählt werden. Wir werden dann eine Koalition mit denen machen, die unseren Positionen am ähnlichesten sind. Um die inhaltliche Nähe zu beurteilen, muss man nicht bis nach der Wahl warten. Ja, aber jetzt warten wir das Wahlergebnis ab und schauen einmal, was vielleicht in den Parteien an Veränderungen kommt.
Falls es zu einer Koalition mit den Grünen kommt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie wieder Umweltministerin werden, nicht sehr hoch. Schauen wir mal. Ich glaube, dass es auch mit den Grünen sehr schwer wird. Es gibt einen Teil, mit denen kann man wirklich extrem gut arbeiten, und dann gibt es diese Fundamentalisten, die oft weit weg sind von der Lebensrealität.
Können Sie weiter ausschließen, dass Sie EUKommissarin werden? Das kann ich ausschließen.