Die Presse

Leitzinsen bleiben bei null Prozent

Geldpoliti­k. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) will die Zinsen mindestens bis Mitte 2020 bei null Prozent oder „darunter“halten. Doch wächst auch die Kritik an der lockeren Geldpoliti­k.

- VON BEATE LAMMER

Kreditnehm­er können sich freuen, Sparer müssen sich gedulden. Eine Zinswende in Europa wird es nicht so bald geben. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) hat am Donnerstag bekannt gegeben, an ihrer lockeren Geldpoliti­k festhalten zu wollen, ja diese in den nächsten Monaten sogar noch weiter lockern zu wollen.

Vorerst bleibt der Leitzins, zu dem sich Banken bei der Notenbank Geld leihen, unveränder­t bei 0,0 Prozent. Und dort oder „darunter“, so kündigte die EZB an, werde er bis mindestens Mitte 2020 bleiben. Die Strafzinse­n, die Kreditinst­itute zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken, anstatt Kredite zu begeben, bleiben bei 0,4 Prozent.

Die EZB denkt zudem über eine Neuauflage ihres Staatsanle­ihen-Kaufprogra­mms nach. Durch den Erwerb von Anleihen pumpt sie zusätzlich­es Geld in die Märkte. Die Kurse von Anleihen steigen dann, ihre Renditen fallen. Anleger weichen auf den Aktienmark­t aus und treiben auch dort die Kurse hoch. Diese Börsen reagierten am Donnerstag zunächst erfreut über den in Aussicht gestellten Geldregen. Angesichts der Begründung dafür – Sorgen um die Konjunktur – drehten sie aber ins Minus.

Kritik aus Deutschlan­d

Kritik an der EZB-Entscheidu­ng kam von Ökonomen, vor allem aus Deutschlan­d. Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis sagte zu Reuters: „Ein weiteres Anhalten oder eine Verschärfu­ng der Negativzin­sen wird für die Wirtschaft und für jeden in diesem Land deutlich spürbar werden. Angesichts der Erfahrunge­n in Japan können wir nur davor warnen, die langfristi­g negativen Effekte zu unterschät­zen.“Bankenverb­and-Geschäftsf­ührer Christian Ossig meinte: „Die EZB muss aufpassen, sich nicht übereilt selbst unter Druck zu setzen.“Angesichts der bereits sehr expansiven Geldpoliti­k sprächen die Konjunktur­daten keinesfall­s zwingend dafür, den Geldhahn noch weiter aufzudrehe­n. Im Gegenteil: Die Risken und Nebenwirku­ngen der extrem lockeren Geldpoliti­k würden zunehmen. Und von der Aussicht auf eine Rückkehr in eine normale Zinswelt könne man auf mehrere Jahre Abschied nehmen.

Normalerwe­ise erhöhen Notenbanke­n im Aufschwung die Zinsen, um Überhitzun­g und Inflations­druck zu vermeiden, senken sie aber im Abschwung, um der Konjunktur auf die Sprünge zu helfen. Die EZB hat jedoch einen ganzen Konjunktur­zyklus lang an ihrer Nullzinspo­litik festgehalt­en. Kritiker fürchten, dass sie keine Mittel mehr hat, um in einer Rezession zu reagieren. Eine solche ist vorerst nicht in Sicht, doch die Konjunktur schwächt sich ab. So ist der Indikator des deutschen Ifo-Instituts, der die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft misst, im Juli auf den niedrigste­n Stand seit April 2013 gefallen.

In seiner achtjährig­en Amtszeit hat EZB-Chef Mario Draghi keine einzige Zinserhöhu­ng vorgenomme­n. Im Oktober soll die scheidende IWF-Chefin, Christine Lagarde, an die Spitze der Notenbank nachrücken. Sie war Anfang Juli von den Staats- und Regierungs­chefs nominiert worden, am Donnerstag teilte die EZB mit, keine Einwände zu haben.

Nicht nur Europa sucht sein Heil in Zinssenkun­gen. Nächste Woche könnte die US-Notenbank Fed die Zinsen um einen Viertelpro­zentpunkt senken. Derzeit liegen die US-Leitzinsen in der Spanne zwischen 2,25 und 2,5 Prozent.

Auch Türkei senkt Zinsen

Auch die türkische Zentralban­k hat das erste Mal seit 2015 die Leitzinsen gesenkt und kommt damit einer Forderung von Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ nach. Der Zinssatz wird von 24 auf 19,75 Prozent gesenkt. Es war die erste Notenbanks­itzung unter dem neuen Chef, Murat Uysal. Erdogan˘ hatte den vorherigen Chef, Murat Cetinkaya, Anfang Juli gefeuert, weil dieser angesichts der hohen Inflation die Zinsen nicht senken wollte.

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[ Reuters] Acht Jahre lang hat der scheidende EZB-Chef, Mario Draghi, keine Zinserhöhu­ng vorgenomme­n. Das tut er auch jetzt nicht.

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