Die Presse

Klimawande­l für „Idomeneo“bei Peter Sellars

Oper. Peter Sellars Beziehung zu Mozart ist intensiv. Der Regisseur aus Pittsburgh inszeniert für die Salzburger Festspiele wieder eine seiner großen Opern (Premiere am Samstag in der Felsenreit­schule). Zuvor hält er die Festrede zur Eröffnung.

- VON NORBERT MAYER

Als Wolfgang Amadeus Mozart „Idomeneo, R`e di Creta“komponiert­e (1780/81), „war er ein zorniger, ungeduldig­er junger Mann, voll Feuer“, sagt Regisseur Peter Sellars. Der knapp 25-jährige Komponist habe in seiner ersten großen Opera seria der Welt erklärt, dass es Zeit für ernsthafte Veränderun­gen sei und eine neue Generation übernehmen müsse, er habe damals „die Musik der Zukunft“geschriebe­n, sagt Sellars in einem Videotrail­er zu seiner Inszenieru­ng dieses Werks. Es sei die Explosion einer komplexen, neuen Kunstform.

Am Samstag ist bei den Salzburger Festspiele­n in der Felsenreit­schule die Premiere von „Idomeneo“in der Fassung von Sellars angesetzt, dirigiert wird die Oper von Teodor Currentzis. Dieses Leading-Team hat vor zwei Jahren bei den Festspiele­n, ebenfalls in der Felsenreit­schule, Mozarts Spätwerk „La clemenza di Tito“aufgeführt. Die Kritiken dazu waren teils begeistert, teils ablehnend, vor allem wegen starker Eingriffe ins Original. Der Musikkriti­ker der „Presse“schrieb von „Regieterro­r“. Ein mahnender Menschenfr­eund wie Sellars lässt kaum einen kalt. Er rechtferti­gte unlängst seinen Hang zur Aktualität im Gespräch mit der „Presse“so: „Wie kann man nicht aktuell und zugleich stolz auf diese Nicht-Aktualität sein?“

Mozart als politische­r Künstler

Das gehört wohl zum Kalkül des Regisseurs. Wenn er zum Beispiel antike Stoffe bearbeitet, wie 2004 bei den Wiener Festwochen ein Drama von Euripides, dann kann man sicher sein, dass er beharrlich auch die Gegenwart anspricht. Höchst aktuell hat er sich damals in „The Children of Herakles“auf die Flüchtling­skrise eingelasse­n und bei der Aufführung im Parlament den Innenminis­ter damit konfrontie­rt. Nein, die sogenannte Werktreue ist nichts für diesen Regisseur. Eines aber kann man Sellars, der seine Inszenieru­ngen zeitgeisti­g verbrämt und mit großen Fragen der Menschheit schmückt, auf keinen Fall absprechen: Engagement.

Es gilt neben Shakespear­e vor allem auch Mozart. Sellars Beziehung zu dessen Opern reicht weit zurück. Bereits als junger Theaterlei­ter in Boston wurde der 1957 in der amerikanis­chen Stahlstadt Pittsburgh geborene Künstler mit den auffällig nach oben gebürstete­n Haaren durch außergewöh­nliche Inszenieru­ngen der Da-PonteOpern bekannt. Seine Aufführung­en von „Cos`ı fan tutte“, „Die Hochzeit des Figaro“und „Don Giovanni“wurden im US-Fernsehen ausgestrah­lt, er tourte damit in alle Welt. Und zum 250. Geburtstag des Komponiste­n, den er für „hochpoliti­sch“hält, richtete er in Wien das Festival „New Crowned Hope“aus. Da ging es aber nicht so sehr um Mozart, sondern um Tanz, Musik, Malerei, Film und Theater. Ideal für Festivals, so bunt wie die Outfits von Sellars.

Was also ist am Samstag in Salzburg von seinem neuen „Idomeneo“zu erwarten? Wohl kaum, dass es, wie bei seiner Inszenieru­ng dieser Oper in Glyndebour­ne 2003, um Nahostkonf­likte geht. Das ist passe.´ Auch diesmal wird es aber Veränderun­gen geben. Fast alle Secco-Rezitative sollen gestrichen werden. „Weniger ist mehr“, bereits bei der Uraufführu­ng habe Mozart einige Arien gestrichen, rechtferti­gte Sellars sein selektives Vorgehen – und warb im Vorfeld beim „Terrassen-Talk“in Salzburg für einen unheimlich­en Hauptdarst­eller: Er zeigte sich vom Ozean fasziniert. Er sei doch altbekannt aus der Mythologie. Der Ozean sei nicht bloß eine Wassermass­e, sondern bestehe aus Millionen von Lebewesen: „Wir müssen lernen, mit dem Ozean zu verhandeln und mit ihm in Kontakt zu treten.“

Pazifische Inseln verschwind­en

Durch den Klimawande­l, so Sellars, stünden wir weltweit vor einer riesigen Herausford­erung. Ob nun in Indonesien, Paris oder New York, es handle sich um ein globales Problem, für das eine neue Form der Kommunikat­ion zu finden sei: „Wir müssen uns über alle politische­n und ethnischen Trennlinie­n hinwegsetz­en“, empfiehlt Sellars. Sein Choreograf für diese Inszenieru­ng, Lemi Ponifasio, stamme aus Samoa. Das passe perfekt. Im Pazifik würden Inseln verschwind­en, wenn der Wasserspie­gel weiter steige.

Die Felsenreit­schule ist für Sellars ein spezieller Ort, wie er bereits vor Beginn der Proben der „Presse“verriet: „Man muss dort mit dem Felsen in Beziehung treten. Man fühlt stets seine Präsenz. Der Stein sorgt für eine unglaublic­he Akustik.“Mozarts Ton, manchmal als zu süß beklagt, bekomme dort Nüchternhe­it. Alles werde elementar. Für „Idomeneo“sei das von besonderer Bedeutung: „Der Ozean ist wütend, er sendet den Menschen eine entspreche­nde Botschaft.“Da ist er wieder, der gute Mensch von Pittsburgh. Seine dringende Botschaft an die junge Generation von heute: Lasst es nicht zu, dass die Alten alles ruinieren!

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[ APA/Barbara Gindl ] Peter Sellars zwischen Sängerinne­n und Sängern bei den Proben zu Mozarts Oper „Idomeneo“.

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