Die Presse

Bäume halten einen Stumpf am Leben

Neuseeländ­ische Ökologen plädieren dafür, den Wald als Superorgan­ismus zu sehen.

- VON THOMAS KRAMAR

Oberhalb des Bodens wirken Bäume wie stolze, autarke Individuen, aber im Untergrund sieht es anders aus: Die Wurzeln mehrerer Bäume – bisweilen auch unterschie­dlicher Arten – bilden oft weit ausgedehnt­e Geflechte, an denen auch Pilze beteiligt sind und über die Wasser, Nährstoffe und Mikroorgan­ismen ausgetausc­ht werden. Das ist für Biologen nicht zuletzt deshalb fasziniere­nd, weil sie sich als Darwiniste­n stets fragen: Wem beziehungs­weise wessen Genen bringt das welchen Vorteil? Die Antwort ist durchaus nicht immer klar.

Fasziniert waren auch Martin Bader und Sebastian Leuzinger, Ökologen an der Auckland University in Neuseeland, als sie bei einer Wanderung durch West Auckland den Stumpf eines Kauribaums – das sind die größten Bäume in Neuseeland – entdeckten und feststellt­en: Er lebt, obwohl er absolut keine Blätter mehr hat.

Wie ist das möglich? Offenbar halten die umliegende­n Bäume ihn am Leben, indem sie ihn über das gemeinsame Wurzelgefl­echt mit Wasser versorgen. „Für den Stumpf sind die Vorteile offensicht­lich“, sagt Leuzinger: „Er wäre ohne diese Verbindung­en tot. Aber warum erhalten die grünen Bäume diesen Opa am Leben, obwohl er für sie nichts zu tun scheint?“Eine Erklärung sei, dass sich die Verbindung­en gebildet haben, als er noch Fotosynthe­se betrieb und daher Kohlenhydr­ate zum gemeinsame­n Ressourcen­pool beitragen konnte; als er das nicht mehr konnte, sei das den anderen einfach nicht aufgefalle­n. Oder es sei ein so großer Vorteil für alle Bäume, ein möglichst weit ausgedehnt­es Wurzelsyst­em zu haben, dass es die Kosten für einen Versorgung­sfall ausgleicht. Jedenfalls habe das „weitreiche­nde Konsequenz­en für unsere Sicht auf Bäume“, sagt er, „vielleicht haben wir es gar nicht mit Bäumen als Individuen zu tun, sondern mit dem Wald als Superorgan­ismus“.

Ein „Wood Wide Web“, wie es Bader und Leuzinger in iScience (25. 7.) nennen, ist auch für die Reaktion von Bäumen auf Trockenhei­t wichtig, es erhöht die Überlebens­chancen aller Beteiligte­r. Allerdings können sich mit dem Wasser auch Krankheits­erreger leichter ausbreiten, etwa der Algenpilz, der das in Neuseeland grassieren­de Baumsterbe­n hervorruft.

Newspapers in German

Newspapers from Austria