Die Presse

Boris ist da! Fad wird es mit dem neuen Premier nicht

Boris Johnson hat keinen Plan, wie alles verlaufen wird, seine Mitstreite­r auch nicht.

- VON GOTTFRIED SCHELLMANN Gottfried Schellmann (geboren 1953) ist Steuerbera­ter in Wien und Experte für internatio­nale Unternehme­nsbesteuer­ung.

Boris Johnson als Premiermin­ister ist zumindest eines, sehr unterhalts­am. Das zeigt er in seiner Antrittsre­de im House of Commons. Seine umfassende Regierungs­umbildung kam nicht überrasche­nd, jedoch besteht sie nicht, wie die deutschspr­achigen Medien übertreibe­n, nur aus hartgesott­enen EU-Skeptikern, sondern, wie die politische Kommentato­rin der BBC Laura Kuenssberg analysiert­e, überwiegen­d aus Pragmatike­rn. Der Austritt soll nach der Vorstellun­g dieser Regierung durchgezog­en werden. Die derzeitige­n Diskussion­en, wie das gehen soll, etwa durch Zeitablauf am 31. Oktober, wenn das Austrittsa­bkommen nicht doch von der EU von seiner zu stark disziplini­erenden Schlagseit­e befreit wird, sind für unsere Ohren etwas befremdlic­h. Es wird tatsächlic­h über die Kaltstellu­ng (Prorogatio­n) des Parlaments geredet, und zwar, dass die Parlaments­session vor dem 31. Oktober beendet und erst nach dem 31. Oktober eröffnet wird. Derzeit ist das Abkommen für das Parlament unannehmba­r, weil es einen Eingriff in die Souveränit­ät des Vereinigte­n Königreich­s bewirkt, von der EU immer intendiert, mit dem Nordirland-Problem als Faustpfand.

Boris Johnson hat keinen konkreten Plan, wie alles verlaufen soll, seine Mitstreite­r ebenfalls nicht. Wenn die EU auf dem Vertrag beharrt, bleibt nur der ungeregelt­e Austritt oder Neuwahlen. Wie das Abkommen gestrickt ist, lässt sich an den vereinbart­en Zahlungen ermessen, die das Vereinigte Königreich zu leisten hätte. Es soll nämlich den vollen „reste a` liquider“bezahlen, 21 Milliarden Euro. Einen Betrag, den die übrigen Mitgliedst­aaten nie werden bezahlen müssen. Das liegt am Budgetsyst­em der EU, welches zwischen den zugesagten Beiträgen und den tatsächlic­h abgerechne­ten unterschei­det. Die verbleiben­den Staaten werden nur nach dem tatsächlic­hen Geldbedarf belastet und nicht nach den Zusagen. Die Diffe

renz beträgt ungefähr 15 Milliarden Euro zulasten des UK. Auch nicht fein, was Barnier & Co. da den Briten aufs Auge gedrückt haben und sie schlucken mussten. Die Bedeutung des Vereinigte­n Königreich­s für die verbleiben­den Mitgliedst­aaten ist nicht zu unterschät­zen. Wenn es erst einmal ausgetrete­n ist, ist es nach den USA der wichtigste Handelspar­tner. Die Exporte der europäisch­en Handelspar­tner ins UK überwiegen mit rund 100 Milliarden die Importe von der Insel. Hinzu kommen die Direktinve­stitionen in Infrastruk­tur- und Versorgung­sunternehm­en durch europäisch­e Unternehme­r aufgrund der viel offeneren Wirtschaft­spolitik. Heathrow zum Beispiel gehört Ferrovial, einer spanischen Baufirma, und die verdient ein Milliarde im Jahr damit. Jährlich fließen gut 40 Milliarden an Zinsen, Dividenden und Lizenzen an die kontinenta­leuropäisc­hen Investoren und somit auch Steuern in die Staatskass­en der übrigen 27. Wer angesichts dieser Umstände vom Rosinenpic­ken redet, kann weder rechnen noch versteht er irgendetwa­s von Wirtschaft und ist wahrschein­lich Politiker oder Journalist.

Ökonomisch betrachtet sind vielmehr die Deutschen die Rosinenpic­ker. Vor dem Hintergrun­d wird man sehen, wie sich alles entwickelt. In seiner Rede hat der neue Premiermin­ister klargestel­lt, dass die EU-Bürger, die im UK leben, besonders geachtet und mit Dankbarkei­t für ihren Beitrag zur UKWirtscha­ft ausgestatt­et und besonders willkommen sind. Ebenso hat er zum Ausdruck gebracht, dass er die europäisch­en Partner als Freunde sieht. Er wird alles versuchen, um das UK aus der EU zu führen. Wenn man ihn lässt. Ein Urteil über seine Politik dürfen die Wähler spätestens 2022 sprechen, wenn nicht doch früher.

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