Die Presse

Frau Meinl-Reisinger, zum Regieren braucht man nicht unbedingt Kids

Angela Merkel, Emmanuel Macron, Jean-Claude Juncker – Europa wird weitgehend von Kinderlose­n regiert. Welche Auswirkung­en hat das eigentlich?

- E-Mails an: Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“

Es war ein Satz von überschaub­arer sozialer Kompetenz, den NeosChefin Beate Meinl-Reisinger jüngst im Interview mit „Krone TV“formuliert hat: „Ich will eigentlich nicht regiert werden von lauter kinderlose­n Karrierist­en, weil das die einzige Möglichkei­t ist. Sondern von Menschen aus der Mitte, die eine Ahnung haben, was es heißt, [. . .] Verantwort­ung für Kinder zu tragen.“

Den Nachweis, dass die Neos eine liberale Partei sind, hat sie da nicht eben erbracht. Denn gerade aus liberaler Sicht hat es selbstvers­tändlich gleichgült­ig zu sein, ob eine politische Führungskr­aft kinderlos ist oder nicht. Ob Menschen Kinder kriegen, ist deren höchstpers­önliche Entscheidu­ng (oder anderen Faktoren geschuldet), die nichts über deren Politiktau­glichkeit aussagt. Die Ansicht, dass ein paar Kinder sozusagen Teil des Befähigung­snachweise­s für den Politikerb­eruf sein soll, ist im Jahr 2019 eher befremdlic­h. Dass sie mit dem Hinweis auf „kinderlose Karrierist­en“– möglicherw­eise – Sebastian Kurz eins auswischen wollte, macht die Sache leider auch nicht besser; ganz im Gegenteil. Das ist freilich auch insofern bedauerlic­h, als die Frage, ob und gegebenenf­alls wie Kinderlosi­gkeit politische Entscheidu­ngen beeinfluss­t, ja durchaus spannend ist.

In der EU war ja zuletzt eine große Zahl von Spitzenpol­itikern ohne Kinder am Ruder: Angela Merkel, Theresa May, Emmanuel Macron, Paolo Gentiloni, Mark Rutte, Stefan Löfven, Xavier Bettel sowie Schottland­s Erste Ministerin Nicola Sturgeon, aber auch EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker verband parteiüber­greifend der Umstand der Kinderlosi­gkeit. Kinderlose sind in Europas Politik-Topjobs klar überrepräs­entiert. Junckers Nachfolger­in, Ursula von der Leyen, wird mit ihren sieben Kindern zur Ausnahme, die die Regel bestätigt. Davon, dass sie deshalb als Bundesvert­eidigungsm­inisterin besondere Verantwort­ung für die Zukunft ihrer und aller deutschen Kinder gezeigt hätte, kann freilich nicht wirklich die Rede sein,

ganz im Gegenteil. Ähnliches kann man angesichts seiner etwas erratische­n Politik auch vom neuen britischen Premier Boris Johnson behaupten (Kinder, soweit bekannt: Lara Lettice Johnson, Theodore Apollo Johnson, Cassia Peaches Johnson und Milo Arthur Johnson).

Die Aversion gegen Regierende ohne Kinder ist der Annahme geschuldet, dass Menschen mit Kindern eine andere Zeitpräfer­enz zu haben scheinen als solche ohne. Wer Kinder hat, wird demnach möglicherw­eise weiter in die Zukunft vorausplan­en als ein Kinderlose­r oder eine Kinderlose. ( Ob Meinl-Reisinger das auch so sieht, geht aus ihrer Formulieru­ng nicht ganz klar hervor – es wirkt aber jedenfalls so.)

Unter Ökonomen gibt es sogar die schräge Theorie, der Keynesiani­smus, die wahrschein­lich einflussre­ichste Wirtschaft­stheorie des 20. Jahrhunder­ts, sei partiell der Kinderlosi­gkeit ihres Urhebers, Lord Keynes, geschuldet, der Einwände gegen die langfristi­gen Folgen hoher Staatsschu­lden mit der legendären Formulieru­ng „In the long run we are all dead“wegwischte.

Empirisch beweisbar ist dergleiche­n freilich nicht; es bleibt die Vermutung.

Gut auf den Punkt gebracht hat das Problem der deutsche Publizist Dushan Wegner: „Kinder zu haben ist ein Training in Eigenschaf­ten und Charakterz­ügen, die auch Politikern und Meinungsma­chern gut zu Gesicht stünden. Wer Kinder hat, wird darin trainiert, eigene Kränkungen und Befindlich­keiten zugunsten der gemeinsame­n, größeren Sache zurückzust­ellen.“Aber: „Ich nehme an, dass man einen Teil dieser Erfahrung auch via Bildung und Empathie nachvollzi­ehen kann, doch man muss es auch tun.“

Vermutlich ist genau das der Punkt. Es geht nicht um Kinder oder keine Kinder, sondern um verantwort­ungsvolle oder verantwort­ungslose Politik. Kinder können dabei helfen, es geht aber auch ohne.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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