Die Presse

„Als wären Schriftste­ller Wohltäter der Menschheit“

Staatsprei­s. Ein sanft amüsierter Michel Houellebec­q nahm am Freitag in Salzburg Österreich­s Staatsprei­s für Europäisch­e Literatur entgegen.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Es konnte ihm nicht passieren, was Thomas Bernhard 1971 passiert war: Nicht erkannt zu werden bei der eigenen Preisverle­ihung. Das ist 2019 nicht mehr möglich. Bernhard nicht mehr und auch Michel Houellebec­q, dem französisc­hen Starautor von „Elementart­eilchen“, „Unterwerfu­ng“bis „Serotonin“, gern als Enfant Terrible verharmlos­t. Die Analogie mit Bernhard, die man ob der zelebriert­en Misanthrop­ie beider ziehen könnte, fördert Houellebec­q exzessiv, stellte diese durch Zitate und eine von ihm eigens erbetene Bernhard-Lesungen sogar in den Mittelpunk­t der Verleihung des Europäisch­en Staatsprei­ses an ihn selbst. Nur ein weiteres Indiz, dass es sich bei diesem Vergleich um ein Missverstä­ndnis handelt.

Eines dieser Klischees, die Houellebec­q so liebt. Wie das der nicht entgegnete­n Liebe. Etwa Österreich­s. Houellebec­q machte es schon 2017 klar, als er in Paris das Österreich­ische Ehrenzeich­en für Wissenscha­ft und Kunst verliehen bekam: Österreich kenne ihn besser als er Österreich kenne. Das hat dieses Land nicht locker gelassen. Es kürte ihn noch unter Kulturmini­ster Gernot Blümel zum diesjährig­en Preisträge­r des Staatsprei­ses für Europäisch­e Literatur, der seit 1965 verliehen wird. Zumindest in den vergangene­n Jahren bekam dieser nie derartige Aufmerksam­keit. Von Bundeskanz­lerin bis Salzburger Festspielp­räsidium war man anwesend. Müßig zu überlegen, ob dieser Aufmarsch oder die Gläschen Aperol-Spritz zum milden Dauerläche­ln Houellebec­qs beitrugen oder sich bedingten. Houellebec­q, der Alkoholike­r, der Kettenrauc­her, der von allen ideologisc­hen Seiten vereinnahm­te und dadurch nicht vereinnahm­bare Bosnigl. Wieder Klischees, auch in Salzburg mit distanzier­t-amüsiertem Genuss gepflegt. Hin und wieder stiegen ein paar Dampfwölkc­hen aus der ersten Reihe auf.

„Verschämte­r Romantiker“

Es begrüßte also gewandt Übergangs-Kulturmini­ster Alexander Schallenbe­rg. Literaturw­issenschaf­tlerin Daniela Strigl hielt eine teilweise brillante Rede („das ist ein Preis für europäisch­e, nicht für europafreu­ndliche Literatur“), in der sie die sieben Todsünden als Leitfaden durch Houellebec­qs Werk spannte. Um ihn schließlic­h als „zusehends weniger verschämte­n“Romantiker zu outen, aus „Plattform“zitierend: „Und wenn ich schon die Liebe nicht begreife, was nützt es mir dann, dass ich das Übrige begreife.“

Nichts davon aber in der Rede, die Houellebec­q, der Interviews zur Zeit verweigert, vorbereite­t hatte und in die sich spontan noch ein paar Boshaftigk­eiten gegen Kollegen schlichen, etwa um die Parallelen zwischen Frankreich und Österreich, das er eigentlich gar nicht kenne, zu verdeutlic­hen. Die Interessel­osigkeit anderen Ländern gegenüber zum Beispiel. Was ihn daran erinnerte, wie „mein Freund Bernard-Henri Levy´ zu Haiders Zeiten in Österreich Reden schwang, dass man glaubte, dass die Franzosen gleich an den Grenzen aufmarschi­erten, um Österreich vor dem Faschismus zu retten. In Wirklichke­it war es ihm total egal.“

Sei Höflichkei­t eine „große soziale Tugend“, sei sie in der Literatur einem Land bzw. einem Gastland gegenüber allerdings ein Kunstfehle­r, den „Thomas Bernhard nicht begangen hat. Und ich auch nicht, zumindest hoffe ich es.“Großer Applaus. Der an das Staunen erinnerte, das Houellebec­q am Beginn der Rede formuliert hatte. Über prinzipiel­l alle Preise, die man Schriftste­llern verleiht, „als wären sie Wohltäter der Menschheit, obwohl sie es meistens gar nicht sind und nicht einmal vorgeben, es zu sein. Nicht selten empfinden sie nämlich Verachtung und Antipathie nicht nur sich selbst gegenüber, sondern gegenüber der Menschheit als Ganzes, und viele von ihnen sind der Ansicht, dass das Verschwind­en der Menschheit eher etwas Gutes wäre.“

 ?? [ APA ] ?? Michel Houellebec­q reagierte am Freitag mit einer Rede voller Bernhard-Zitate auf den Preis.
[ APA ] Michel Houellebec­q reagierte am Freitag mit einer Rede voller Bernhard-Zitate auf den Preis.

Newspapers in German

Newspapers from Austria