Sie verfolgen die Festspiele im Radio? Ein Führer durch „Medea“
Salzburg. Tipps für alle Musikfreunde, die die Festspielpremiere von Luigi Cherubinis Meisterwerk nur hörend via Radioübertragung mitverfolgen möchten: Was ist das Besondere an diesem Stück, wo sind die Höhepunkte – und wann darf ich mir in Ruhe einen Kaf
Ein blutrünstiges Sujet, aber eine Musik, die – noch auf halbem Wege zwischen Mozart und Beethoven – die späteren romantischen Opernexzesse erst vorbereitet. In der Musik Luigi Cherubinis klingt manches freilich schon nach frühem Verdi. Und die stürmische f-Moll-Ouvertüre bereitet uns auf eine Tragödie vor, die freilich anhebt wie ein vergleichsweise harmloses Spiel.
UNGLÜCKSBOTE
„Med´ee“´ hebt an – um ein Zitat von Gustav Mahler zu paraphrasieren –, als ob die Musik nicht bis drei zählen könnte.
Introduktion und Arie der Dirce:´ Musikalisch harmlos im Ton der Mozart-Zeit bittet Jasons Braut die Götter um gute Ehe, vor allem aber um Abwehr böser Kräfte.
Zu Marschmusik wird das Goldene Vlies gebracht. Hier werden zuletzt erste sinistre Töne laut, denn Dirce´ weiß, dass Jason, ihr Bräutigam, die Trophäe nur mithilfe seiner Geliebten, Medea, erringen konnte, die er verstoßen hat. Doch noch herrscht musikalischer Friede. Jason versichert, längst frei vom Bann zu sein und sein Glück nur an der Seite Dirces´ zu finden. König Kreon und der Chor erbitten den Segen der Götter.
Die erste halbe Stunde der Oper ist also etwas für den Connaisseur, der gern über Originalklang und -sang diskutiert. Sobald die Titelheldin (hier: Elena Stikhina) die Szene betritt, ändert sich der Ton: Kreon und die Seinen begrüßen den ungebetenen Gast nicht gerade freundlich – doch Medea bittet um Mitleid und beschwört in ihrer ersten Arie Erinnerungen an selige Zeiten an der Seite Jasons. Der dramatische Sopran muss nach dem Respekt gebietenden Auftritt lyrische Töne finden.
ZURÜCKWEISUNG
Kreons folgende, anklagende Arie hat man früher gern gestrichen, um in präwagnerianischer Dramaturgie gleich ins Duett mit der Zurückweisung durch Jason und dem Fluch Medeas übergehen zu können: Die vorwärtstreibenden Begleitfiguren klingen beinah schon nach frühem Verdi.
Die fahrigen Gesten des Duetts spielen noch ins Vorspiel zum zweiten Akt hinein. Ensemble: Alle gegen Medea. Der Forderung nach sofortigem Rückzug antwortet sie mit dem Wunsch nach einem Tag des Aufschubs.
RACHEGELÜSTE
Kreon lässt Medea gewähren, obwohl er ahnt, dass die Magierin Böses im Schilde führt.
Medea sinnt auf Rache. Die Dienerin Neris´ versucht, besänftigend auf sie einzuwirken: Ihre Arie mit dem lyrischen Fagottsolo (melodiöser als die Gesangsstimme) klingt ein wenig wie die Vorwegnahme der 35 Jahre später komponierten „Furtiva lagrima“aus Donizettis „Liebestrank“.
Duett: Medea will die gemeinsamen Kinder mit sich nehmen. Jason wird sie keinesfalls herausgeben. In Medea reift der Entschluss, lieber die Kinder zu töten, als sie dem Vater zu überlassen.
Hochzeitsklänge: Banale Festmusik als Kontrast zu den umgebenden Seelenstürmen. Für den Hörer daheim die beste (letzte) Gelegenheit, noch etwas zu besorgen – etwa die zweite Flasche Champagner aus dem Keller.
Erst Medeas böse Prophezeiungen am Ende der Zeremonie sorgen für Dissonanzen und ein kraftvolles Finale: Medea hat Dirce´ zum Zeichen der Versöhnung ein prächtiges Hochzeitskleid überbringen lassen. Ein Kleid, mit todbringendem Gift imprägniert.
KINDSMORD
Den Widerstreit von Mutterliebe und unstillbarer Rachsucht lässt Cherubini in zwei Arien hören: Einmal noch zögert Medea, lässt den Dolch fallen („Du trouble affreux“), ruft aber dann, zum Äußersten entschlossen, die Schicksalsgöttinnen an („O! Tisiphone!“).
Finale: Sobald Medea die Klagerufe Jasons um Dirce´ vernimmt, vollbringt sie die grausige Tat. Zum turbulenten Vokalensemble tragen die Rachegöttinnen den Leichnam Medeas davon, die zur Mörderin ihrer eigenen Kinder geworden ist – so zumindest die originale Regieanweisung. Was auf der Bühne diesmal vor sich geht, bekommen Radiohörer ja nicht zu sehen . . .
„Med´ee“´ im Radio: Thomas Hengelbrock dirigiert in Salzburg die Wiener Philharmoniker. Nach der Premiere am 30. 7. wird die Oper am 10. 8., 19.30 Uhr auf Ö1 und am 15. 8., 20:05 Uhr auf BR-Klassik übertragen.