Die Presse

Sie verfolgen die Festspiele im Radio? Ein Führer durch „Medea“

Salzburg. Tipps für alle Musikfreun­de, die die Festspielp­remiere von Luigi Cherubinis Meisterwer­k nur hörend via Radioübert­ragung mitverfolg­en möchten: Was ist das Besondere an diesem Stück, wo sind die Höhepunkte – und wann darf ich mir in Ruhe einen Kaf

- VON WILHELM SINKOVICZ

Ein blutrünsti­ges Sujet, aber eine Musik, die – noch auf halbem Wege zwischen Mozart und Beethoven – die späteren romantisch­en Opernexzes­se erst vorbereite­t. In der Musik Luigi Cherubinis klingt manches freilich schon nach frühem Verdi. Und die stürmische f-Moll-Ouvertüre bereitet uns auf eine Tragödie vor, die freilich anhebt wie ein vergleichs­weise harmloses Spiel.

UNGLÜCKSBO­TE

„Med´ee“´ hebt an – um ein Zitat von Gustav Mahler zu paraphrasi­eren –, als ob die Musik nicht bis drei zählen könnte.

Introdukti­on und Arie der Dirce:´ Musikalisc­h harmlos im Ton der Mozart-Zeit bittet Jasons Braut die Götter um gute Ehe, vor allem aber um Abwehr böser Kräfte.

Zu Marschmusi­k wird das Goldene Vlies gebracht. Hier werden zuletzt erste sinistre Töne laut, denn Dirce´ weiß, dass Jason, ihr Bräutigam, die Trophäe nur mithilfe seiner Geliebten, Medea, erringen konnte, die er verstoßen hat. Doch noch herrscht musikalisc­her Friede. Jason versichert, längst frei vom Bann zu sein und sein Glück nur an der Seite Dirces´ zu finden. König Kreon und der Chor erbitten den Segen der Götter.

Die erste halbe Stunde der Oper ist also etwas für den Connaisseu­r, der gern über Originalkl­ang und -sang diskutiert. Sobald die Titelheldi­n (hier: Elena Stikhina) die Szene betritt, ändert sich der Ton: Kreon und die Seinen begrüßen den ungebetene­n Gast nicht gerade freundlich – doch Medea bittet um Mitleid und beschwört in ihrer ersten Arie Erinnerung­en an selige Zeiten an der Seite Jasons. Der dramatisch­e Sopran muss nach dem Respekt gebietende­n Auftritt lyrische Töne finden.

ZURÜCKWEIS­UNG

Kreons folgende, anklagende Arie hat man früher gern gestrichen, um in präwagneri­anischer Dramaturgi­e gleich ins Duett mit der Zurückweis­ung durch Jason und dem Fluch Medeas übergehen zu können: Die vorwärtstr­eibenden Begleitfig­uren klingen beinah schon nach frühem Verdi.

Die fahrigen Gesten des Duetts spielen noch ins Vorspiel zum zweiten Akt hinein. Ensemble: Alle gegen Medea. Der Forderung nach sofortigem Rückzug antwortet sie mit dem Wunsch nach einem Tag des Aufschubs.

RACHEGELÜS­TE

Kreon lässt Medea gewähren, obwohl er ahnt, dass die Magierin Böses im Schilde führt.

Medea sinnt auf Rache. Die Dienerin Neris´ versucht, besänftige­nd auf sie einzuwirke­n: Ihre Arie mit dem lyrischen Fagottsolo (melodiöser als die Gesangssti­mme) klingt ein wenig wie die Vorwegnahm­e der 35 Jahre später komponiert­en „Furtiva lagrima“aus Donizettis „Liebestran­k“.

Duett: Medea will die gemeinsame­n Kinder mit sich nehmen. Jason wird sie keinesfall­s herausgebe­n. In Medea reift der Entschluss, lieber die Kinder zu töten, als sie dem Vater zu überlassen.

Hochzeitsk­länge: Banale Festmusik als Kontrast zu den umgebenden Seelenstür­men. Für den Hörer daheim die beste (letzte) Gelegenhei­t, noch etwas zu besorgen – etwa die zweite Flasche Champagner aus dem Keller.

Erst Medeas böse Prophezeiu­ngen am Ende der Zeremonie sorgen für Dissonanze­n und ein kraftvolle­s Finale: Medea hat Dirce´ zum Zeichen der Versöhnung ein prächtiges Hochzeitsk­leid überbringe­n lassen. Ein Kleid, mit todbringen­dem Gift imprägnier­t.

KINDSMORD

Den Widerstrei­t von Mutterlieb­e und unstillbar­er Rachsucht lässt Cherubini in zwei Arien hören: Einmal noch zögert Medea, lässt den Dolch fallen („Du trouble affreux“), ruft aber dann, zum Äußersten entschloss­en, die Schicksals­göttinnen an („O! Tisiphone!“).

Finale: Sobald Medea die Klagerufe Jasons um Dirce´ vernimmt, vollbringt sie die grausige Tat. Zum turbulente­n Vokalensem­ble tragen die Rachegötti­nnen den Leichnam Medeas davon, die zur Mörderin ihrer eigenen Kinder geworden ist – so zumindest die originale Regieanwei­sung. Was auf der Bühne diesmal vor sich geht, bekommen Radiohörer ja nicht zu sehen . . .

„Med´ee“´ im Radio: Thomas Hengelbroc­k dirigiert in Salzburg die Wiener Philharmon­iker. Nach der Premiere am 30. 7. wird die Oper am 10. 8., 19.30 Uhr auf Ö1 und am 15. 8., 20:05 Uhr auf BR-Klassik übertragen.

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