Die Presse

Wie Ö1 noch verbessert werden kann

Ö1 bekommt demnächst einen neuen Chef. Der bisherige, Peter Klein, geht heute in Pension. Vor der Staffelübe­rgabe hat die Neigungsgr­uppe Radio in der „Presse“ein paar Herzenswün­sche für die Zukunft des Senders gesammelt. Medien.

-

Der Sender bekommt einen neuen Chef – „Die Presse“hat eine Liste mit Vorschläge­n.

Im Herbst wird der Sender 52 Jahre alt. Gefeiert wird das nicht so ausschweif­end wie 2017 der runde Geburtstag. Dafür steht ein arbeitsint­ensiver Herbst an. Ö1 bekommt demnächst einen neuen Chef oder gar wieder eine Chefin (gute Chancen hat etwa Silvia Lahner). Der bisherige, Peter Klein, geht und zieht gemischte Bilanz seiner fünfjährig­en Amtszeit (siehe Interview unten). Nachdem der ORF mit der Entscheidu­ng der neuen Senderleit­ung auf sich warten lässt (die Hearings waren Anfang Juli), nutzen wir die Zeit und formuliere­n eine Wunschlist­e an die neue Ö1-Chefin mit Ideen und Anregungen, was sich beim Sender dringend ändern sollte:

Mehr Worte. Nehmen wir die nüchternen Fakten her: Ö1 hat neun Prozent Reichweite, aber nur sieben Prozent Marktantei­l. Warum? Viele hören nur die Nachrichte­n und Journale. Gern würden sie weiter hören, wenn da noch mehr Gesprochen­es käme. Das hält wach, beim Autofahren eine Frage von Leben oder Tod. Aber nein, sie werden gleich wieder von Musik berieselt und benommen gemacht. Das wollen sie nicht, egal ob U oder E, Pop oder Klassik. Schon klar: Ein schönes Feature zu gestalten kostet ungleich mehr als eine Platte aufzulegen. Aber Sprechsend­ungen müssen nicht teuer sein. Auch Text gibt es in Konserven, wie Hörspiele oder Mitschnitt­e aus Theatern. Warum nicht mehr Sendungen mit deutschen und Schweizer Kollegen tauschen? Übrigens: Der Deutschlan­dfunk stellt seine Telefonint­erviews mit Experten dauerhaft als Text auf die Webseite. Das ist ein Palast des Wissens. Wertvoller als jedes Orchesterk­onzert. (gau)

Bleibt ernst! Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Nein, Otto Julius Bierbaum, Jahrgang 1865 und Schöpfer dieses Bonmots, kann kein Ö1-Hörer gewesen sein. Und doch: Wenn in dieser sonst so geliebten radiofonen Heimat gezielt Heiterkeit ausbrechen soll, in mancherlei Moderation­en, gar in absichtsvo­ll vergnügt sein wollenden Formaten (Silvester!), drängt sich dieses Bierbaum’sche „Trotzdem“ins Gemüt. Das Gebot, auf Coolness komm raus locker zu sein, scheint noch die unbeschwer­testen Ö1-Gemüter in eine Art Fröhlichke­itszwangse­rstarrung verfallen zu lassen, aus der sie sich mit mühsamst abgequälte­n Lustigkeit­sverrenkun­gen befreien zu können glauben – was sich genau so und nicht anders auf den Hörer überträgt. Im Ernst: Bleibt ernst! Das Heitere stellt der Widersinn der Welt, wird er nur ernst genug rapportier­t, ganz von allein bei. (wf ) Weniger Belehrung. Wer, wie ich, nicht zuletzt durchs Ö1-Hören zum Klassik-Aficionado geworden ist, der wünscht sich für die Zukunft wieder weniger vom politisch korrekten Belehrungs­funk und – anders als mein Kollege weiter oben – mehr Liveübertr­agungen musikalisc­her Ereignisse, mehr von den nach wie vor oft tiefgründi­gen und wohlinform­ierten analytisch­en Musiksendu­ngen. Vor allem aber eine Rückkehr zu jenem Sprachgefü­hl, das früher einmal zu den identitäts­stiftenden Merkmalen dieses Senders gehörte. (sin) Ein neuer Sendeplatz fürs Feature. Kein Zweifel: Das SamstagFea­ture, die „Hörbilder“, müsste erfunden werden, wenn es das noch nicht gäbe. Nur: Dieses so wunderbar investigat­ive Format, voll mit politische­m und sozialem Gehalt und, ja, immer wieder staunen machender gestalteri­scher Kreativitä­t, ist zu einer Tageszeit (Sendebegin­n: 9.05 Uhr) platziert, die seiner Bedeutung (und der wochenendm­orgendlich­en Gestimmthe­it der Rezipiente­n) kaum je gerecht wird. „Libyen: Das Geschäft mit den Flüchtling­en“oder, demnächst, „Spurensuch­e nach Gründen für einen Mord in der Familie“: Das sind keine radiofonen Frühstücks­semmerln, die man ganz nebenbei zwischen Morgenkaff­ee und Kuchen konsumiert. Wie wär’s mit einem Abendsende­platz? (wf )

Mehr Diskussion­skultur. Interviews und Zweiergesp­räche gibt es auf Ö1 reichlich, von „Im Journal zu Gast“und „Klartext“bis zum „Salzburger Nachtstudi­o“oder dem stets ein wenig zu anbiedernd geführten Werkstattg­espräch „Im Künstlerzi­mmer“. Was fehlt, sind lebendig geführte Diskussion­en, auch abseits der Politik. Gern auch spätnachts und mit offenem Ende. Kurz gesagt: Wir hätten gern einen „Club 2“zum Hören. (awa)

Ein Hörspielar­chiv. Ö1 sitzt auf einem unfassbare­n Schatz an Hörspielen – und teilt ihn nicht. Das liegt vor allem daran, dass dem Sender die Zweitnutzu­ng oder Online-only-Nutzung nicht erlaubt ist. Insofern sind Regierungs­krisen und Neuwahlen, die die Reform des ORF-Gesetzes verzögern, ein Fluch. Dem ORF sollte erlaubt sein, ein digitales Hörspielar­chiv einzuricht­en, in dem man Klassiker wie „March Movie“von Michael Köhlmeier und Peter Klein von 1983 hören kann. Die Öffentlich-Rechtliche­n in Deutschlan­d und der Schweiz machen das auch. (awa)

Podcasts! Womit wir zu einem verwandten Thema kommen: dem digitalen Fortschrit­t. Unvorstell­bar weit hinten ist Ö1 bei der Entwicklun­g von Ideen, die das Genre Radio ins Jetzt transporti­eren und unter 25-Jährige ansprechen könnten. Auch das liegt vorrangig am Gesetz, das dem ORF wenig Spielraum gibt. So dürfen Podcasts nur Inhalte abspielen, die bereits im Radio liefen. Ganz generell sprüht im Funkhaus in der Argentinie­rstraße (spätestens 2022 übersiedel­t der Sender auf den Küniglberg) nicht unbedingt ständig ein Ideenfeuer­werk. Warum eigentlich nicht? (awa)

Unabhängig bleiben! Ö1, das sind für viele die Nachrichte­n, das „Morgen-“, „Mittags-“und „Abendjourn­al“. Und die sollen bleiben, wie sie sind. Genauso lang, laut und neugierig. Nur eines soll sich ändern: Die Sendungen könnten ausgewogen­er sein, sowohl bei Themengewi­chtung als auch Weltanscha­uung. Wer genau zuhört, vermag oft eine bestimmte politische Schlagseit­e zu hören. Den Journalen hat die Digitalisi­erung übrigens gut getan. Wer sie live verpasst, kann sie nachhören, wann es beliebt. So wie einen Podcast. (awa)

 ??  ??
 ?? [ Getty ] ??
[ Getty ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria