Die Presse

Der Reißwolf und die sieben Speicher

Kanzleramt. Auch unter Christian Kern wurden Festplatte­n vernichtet – allerdings nicht geheim. Kern selbst will das nicht gewusst haben.

- VON PHILIPP AICHINGER, IRIS BONAVIDA UND ULRIKE WEISER

Nächstes Kapitel bei Schredderg­ate: Was unter Christian Kern geschredde­rt wurde.

Wien. Nicht nur unter der Führung von Sebastian Kurz, auch unter seinem Vorgänger, Christian Kern, wurden Festplatte­n des Kanzleramt­s geschredde­rt. Das ist seit Dienstag bekannt. Aber warum hat Kern noch vor Kurzem das Gegenteil gesagt? Und wieso darf man die Schreddera­ktion unter Kern nicht mit der unter Kurz gleichsetz­en? Die wichtigste­n Fragen und Antworten zum Thema.

1 Was wurde bei der Amtsüberga­be von Kanzler Kern geschredde­rt?

Im Dezember 2017 räumte die SPÖ-Führungsri­ege im Bundeskanz­leramt ihre Büros. Der „Kronen Zeitung“liegen nun Dokumente vor, die belegen sollen, dass während des Auszugs auch Druckerfes­tplatten vernichtet wurden. Laut den Papieren wurden insgesamt sieben Datenspeic­her aus drei verschiede­nen Kabinetten geschredde­rt. Davon betroffen waren die Büros vom damaligen Kanzler und SPÖ-Chef Kern, Kanzleramt­sminister und Wahlkampfl­eiter Thomas Drozda sowie von Staatssekr­etärin Muna Duzdar.

2 Warum ist die Zerstörung dieser Festplatte­n relevant?

Für Aufmerksam­keit sorgen die Dokumente, weil sich Kern im Zuge der Schredder-Causa vergangene Woche selbst zu Wort gemeldet hatte: „Ein Schreddern von Festplatte­n fand nicht statt“, schrieb er auf Facebook. Sollte Kurz dies weiterhin behaupten, würde Kern eine „gerichtlic­he Hilfe“prüfen.

Nun stellt sich die Frage, ob Kern wissentlic­h oder unwissentl­ich falsche Angaben gemacht hat. In der SPÖ geht man davon aus, dass Kern vom Schreddern nichts wusste. IT-Beamte seien bei der Übergabe zu den einzelnen Kabinettsa­rbeitern gegangen. Man hätte persönlich­e Daten von Laptops löschen und Handys abkaufen können. Das Archiviere­n und Zerstören der Unterlagen liege in der Verantwort­ung der Beamten. Diese würden den internen Regeln folgen, politische Mitarbeite­r hätten damit wenig zu tun. SPÖ-Kommunikat­ionschef Stefan Hirsch betont, dass der Auftrag zum Schreddern weder von Kern noch von dessen Kabinett gekommen sei. Es sei ein amtswegige­r Vorgang gewesen. Vermutlich habe die Präsidiale die IT-Abteilung im Bundeskanz­leramt angewiesen. Demnach sei der wahlkämpfe­nden SPÖ die Kern-Meldung auch „überhaupt nicht unangenehm“. Und Hirsch weiter: „Die Leute können das genau unterschei­den (also den Unterschie­d zwischen Kern und Kurz in Sachen Schreddern erkennen, Anm. d. Red.). Christian Kern hat nicht unkorrekt gehandelt.“

3 Worin liegt der Unterschie­d zwischen den Schreddera­ktionen?

Die sieben Festplatte­n von Kern und Co. wurden über den offizielle­n Amtsweg entsorgt. Es gibt dazu einen Akt im Kanzleramt, der den Ausbau der Festplatte­n in den politische­n Büros betrifft.

Unter Kanzler Kurz wurde ein Social-Media–Mitarbeite­r losgeschic­kt, um unter falschem Namen bei der Firma Reisswolf fünf Festplatte­n schreddern zu lassen. Die Sache flog auf, weil der 25-Jährige die Rechnung nicht zahlte und Nachforsch­ungen begannen. So entstand der Verdacht, dass etwas sehr Geheimes vernichtet wurde.

Der junge Mann erklärte, seine Aktion sei mit einem IT-Beamten aus dem Kabinett des damaligen Kanzleramt­sministers Gernot Blümel abgestimmt gewesen. Auch habe der IT-Sicherheit­sbeauftrag­te des Kanzleramt­s Bescheid gewusst. Wer dem inzwischen bei der ÖVP angestellt­en 25-Jährigen schließlic­h auftrug, die Festplatte­n außerhalb des Amtswegs schreddern zu lassen, ist nicht bekannt. Der Mitarbeite­r gibt an, sich daran nicht mehr erinnern zu können.

Die ÖVP hatte die am 23. Mai durchgefüh­rte Geheimakti­on damit gerechtfer­tigt, dass damals nicht klar war, ob der Misstrauen­santrag gegen die Regierung im Nationalra­t durchgeht. Man habe Unruhe vermeiden wollen. Der Misstrauen­santrag erfolgte am 27. Mai. Die Vernichtun­g der Festplatte­n unter Kanzler Kern wurde laut den nun bekannten Unterlagen am 1. Dezember genehmigt. Am 15. Dezember gaben ÖVP und FPÖ bekannt, dass sie die Koalitions­verhandlun­gen abgeschlos­sen haben.

4 Was sagt das Kanzleramt zu den beiden Causen?

Das Kanzleramt könnte am besten aufklären, was wann geschah und wer davon wusste. Doch ist die Informatio­nspolitik keine offene. Am Dienstag erklärte ein Sprecher von Kanzlerin Brigitte Bierlein, dass man die aktuellen Enthüllung­en nicht kommentier­e. Verwiesen wurde auf eine vorwöchige Stellungna­hme des Kanzleramt­s, laut der die Löschung bestimmter Daten bei Regierungs­wechseln üblich sei. Und darauf, dass es eine interne Evaluierun­g gebe. Erst im Zuge von parlamenta­rischen Anfragen will (und muss) die Kanzlerin genauer Auskunft geben.

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[ APA ] Christian Kern (l.) musste nach der Nationalra­tswahl 2017 das Kanzleramt an Sebastian Kurz übergeben.

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