Einsam im Escape Room
MQ. Die Künstlerin Deborah Sengl schafft einen Escape Room, der sich um das Thema Flucht dreht. Er soll Menschen dazu bringen, einfühlsamer zu werden.
Künstlerin Deborah Sengl will mit einer Installation im Wiener MQ die Menschen einfühlsamer machen.
Wut war das Gefühl, das irgendwie zu Deborah Sengls jüngstem Projekt geführt hat: Wut auf die Empathielosigkeit, auf den Hass und die Angst, auf die Vorurteile und die Vorverurteilungen, mit denen Menschen hierzulande teilweise auf die Flüchtlingskrise reagierten. „Diese Unfähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen, das hat mich einfach fertig gemacht“, sagt Sengl bei einem Pressetermin im Museumsquartier.
Die Wiener Künstlerin ist bekannt dafür, mit kritischem Blick auf gesellschaftliche Prozesse zu schauen und Verhalten und Fehlverhalten der Menschen – oft mit Tieren als Platzhalter – schonungslos darzustellen: Mit präparierten weißen Ratten inszenierte sie „Die letzten Tage der Menschheit“, sie zeichnete eine bissige Serie nach dem „Knigge“und zeigte zuletzt im Museumsquartier ein Schwein, das sich den Speck vom Leib strampeln will.
Dort, in den ehemaligen Räumlichkeiten des Math Space, wird auch gerade an dem Projekt gearbeitet, das mittlerweile aus der Wut entstanden ist: Unter dem Titel „Escape!“bietet Deborah Sengl ab Mitte Oktober eine Erfahrung, die zum Nachdenken und vor allem auch zum Einfühlen in das Thema Flucht anregen soll – angelehnt an das Prinzip der sogenannten Escape Rooms, bei denen man über das Lösen von Rätseln und von Aufgaben versucht, aus einem geschlossenen Raum herauszukommen.
Menschen gefühlvoller machen
„Diese Räume sind eine unfassbare Möglichkeit, um ein emotionales Erlebnis zu bieten, um eine Geschichte zu erzählen“, sagt Sengl, die vor einigen Jahren begonnen hat, solche Spiele zu spielen – rein privat, weil sie immer schon Rätsel und Schnitzeljagden mochte, auch wenn sie Geschichten von Zombiejagd und Atombomben oft nur mäßig reizvoll fand. „Dann hat sich das verschränkt, und ich habe mir gedacht, ich nütze diese Methode, um das Thema Flucht zu bearbeiten.“
Dabei wolle und könne sie aber keine Fluchtgeschichte nacherzählen, betont die 45-Jährige. „Das steht mir auch nicht zu. Ich möchte die Menschen in emotionale Ausnahmezustände bringen, um sie offener zu machen. Ich möchte die Menschen in den 60 Minuten in diesem Raum gefühlvoller machen, verständnisvoller.“Etwas, das es im Übrigen nicht nur bei dem Thema Flucht brauche, sondern insgesamt, bei einer Gesellschaft, die roher, verständnisloser, egoistischer werde.
Das Museumsquartier sei für das aktuelle Projekt insofern ein perfekter Ort, weil es ein breites Publikum anspreche – nicht nur die Kunstsinnigen. Und gerade der unterhaltende, niederschwellige Zugang von „Escape!“– der manche im Zusammenhang mit Flucht auf den ersten Blick irritiert – sei eine Möglichkeit, auch jene Menschen anzuziehen, die sich zunächst nicht für die Thematik interessieren.
Inhaltlich will Sengl über das Projekt, für das sie mit dem Escape-RoomAnbieter Time-Busters und der Organisation Fremde werden Freunde zusammengearbeitet hat, die sich für die Inklusion von Geflüchteten engagiert, noch nicht viel verraten. Nur: „Es ist schon ein klassischer Sengl.“Es gibt also einen Teil, an dem man ihre künstlerische Handschrift erkennt.
AUF EINEN BLICK
Deborah Sengl (45) eröffnet am 14. Oktober „Escape!“im Wiener Museumsquartier, eine Erfahrung, die zum Nachdenken über Flucht anregen soll. Sie hat dafür mit dem EscapeRoom-Anbieter Time-Busters und dem Verein Fremde werden Freunde zusammengearbeitet. Letzterer bietet zu „Escape!“auch Zusatzangebote an, etwa für Schulen. Tickets für die 60-minütige Erfahrung können ab sofort gebucht werden (26 Euro pro Person). „Escape!“läuft bis Ende 2020 im Wiener MQ. Aber mehr noch ist die Herangehensweise gemeint. „Dass ich mich interessiere für Fehlverhalten und Missstände, und dass ich das ja immer aufgreife.“
Vorerst keine Blumenbilder
Die Beobachtung der Gesellschaft und der Manipulationen, das Tarnen und Täuschen oder die Täter-Opfer-Umkehr sind Themen, die sich seit Langem durch das künstlerische Wirken Sengls ziehen. „Früher war das vielleicht allgemeiner gehalten – dann ist es noch etwas politischer geworden“, sagt sie. „Das ist halt einfach so, wie die Welt sich entwickelt – und für mich ist die Kunst wie ein Ventil, um damit umzugehen.“Missionieren wolle sie mit Kunst nicht – aber Menschen erreichen schon.
Was als Nächstes kommt, wenn ihr aktuelles Projekt – das im Museumsquartier bis Ende 2020 laufen soll – fertig ist? Ein Filmprojekt ist in Aussicht, vielleicht andere Projekte, die über die Disziplin Bildende Kunst hinausgehen, mit Sicherheit Ausstellungen. „Es passiert so viel auf der Welt, dass mir die Themen eh nicht ausgehen“, sagt sie. „Leider.“Wenn nichts mehr passierte, würde sie möglicherweise beginnen, Blumenbilder zu malen. „Das wäre künstlerisch vielleicht ein bisschen fad“, sagt sie. „Aber dann wäre die Welt besser.“