Die Presse

Die Zinsen sterben – und mit ihnen das geliebte Sparbuch

Wir könnten noch jahrzehnte­lang Nullzinsen sehen. Ein großes Problem für ein Land, in dem das Sparbuch vergöttert, aber die Börse verteufelt wird.

- E-Mails an: nikolaus.jilch@diepresse.com

L angfristig sind wir alle tot.“Wenn es einen Satz des Ökonomen John Maynard Keynes gibt, dem auch seine härtesten Gegner nicht widersprec­hen konnten, dann ist es dieser. Keynes selbst wollte mit dem Zitat keinen Freibrief für kurzfristi­ges ökonomisch­es Handeln ausstellen, sondern Ökonomen dazu anhalten, nicht nur langfristi­g zu denken.

Es war eine ganz, ganz andere Zeit, in der Keynes gelebt hat. Eine Zeit, in der Ökonomen der Politik vor allem Grenzen gesetzt haben. Erst mit Keynes selbst – und vor allem mit seinen Jüngern, den Keynesiane­rn, begann die Phase der politische­n Interventi­onen. „In the long run we’re all dead.“Heute wird dieser Satz nur noch missbrauch­t, für kurzfristi­ge Tricks. Und Keynes ist längst tot.

Vielleicht war 2008 eine Chance, den Markt seine Arbeit tun zu lassen und das System zu bereinigen. Es wurde versucht. Der damalige US-Finanzmini­ster, Hank Paulson, hat Lehman Brothers pleitegehe­n lassen. In Island hat man auf einer Insel den Ernstfall für die ganze Welt durchgespi­elt. Aber kurzfristi­ge politische Interessen haben gesiegt, und von Bereinigun­g war schnell keine Rede mehr. Seitdem leben wir auf Pump, mehr noch als je zuvor.

Mit der Beendigung der zaghaften Zinsanhebu­ngen durch die US-Notenbank Federal Reserve ist die letzte Hoffnung auf eine Rückkehr in die monetäre Normalität dahin. Da kann man lamentiere­n, so viel man will, es wird nichts helfen. Ist das Timing kurzfristi­g motiviert? Sicherlich will Donald Trump mit einem starken Aktienmark­t und einer brummenden Konjunktur in den Wahlkampf gehen. Das macht ihn praktisch unschlagba­r.

Trump wird aber auch wissen, dass die langfristi­ge Strategie längst steht. Dass spätestens mit der 2008 vergebenen Chance auf einen heilsamen Crash nichts mehr an dem Weg vorbeiführ­t, den wir jetzt gehen. Um es so klar wie möglich zu machen: Die Notenbanke­n werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnte­n Dinge tun, bei denen es auch Lord Keynes und vielen seiner Fans die Sprache verschlage­n würde. Sie haben längst damit begonnen. Käufe von Staatsanle­ihen sind Realität. Auch Unternehme­nsanleihen haben die Währungshü­ter bereits in der Bilanz. In Japan werden sogar Aktien gekauft. Das ist für den Westen der nächste logische Schritt. In Asien und Russland werden derweil fleißig die Goldreserv­en aufgestock­t. D as Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) hat in einer Studie analysiert, warum wir diesen Weg gehen. Es ist nicht nur der Wunsch, Banken und Staaten mit billigem Geld zu versorgen. Sie sind eher Nutznießer. Tatsächlic­h sinken die Zinsen ja schon seit den 1990er-Jahren, zumindest real, also inflations­bereinigt. Es wird jetzt nur besonders auffällig, weil es auf dem Sparbuch nichts mehr gibt und das Girokonto bald mit Negativzin­sen belastet wird. Der Grund ist die Demografie, so das IW.

Seit Jahrzehnte­n steigt die Lebenserwa­rtung in den Industriel­ändern. Die Menschen sparen deswegen mehr und länger, was die Zinsen drückt. Der Sparbuchsp­arer schafft sich die Zinsen quasi selbst ab. Dazu kommt, dass viele Unternehme­n weniger in Maschinen und mehr in Daten und Lizenzen investiere­n, was günstiger ist. Auch einige Staaten investiere­n seit den 1990er-Jahren weniger. Beim IW geht man davon aus, dass der reale Zinssatz bis 2050 bei 0,0 Prozent bleiben wird. Der demografis­che Trend lässt sich kaum aufhalten. Um es mit Keynes zu sagen: Langfristi­g sind wir zwar alle tot, aber es dauert immer länger.

Ob die Federal Reserve den Zinssatz um einen Viertelpro­zentpunkt in eine Richtung bewegt, ist für Herrn und Frau Österreich­er noch egal. Für Häuslbauer und Immobilien­käufer sind niedrige Zinsen sogar gut. Aber dass wir auch in 15 oder 20 Jahren noch nicht mit Zinsen zu rechnen haben, sollte allen Sparern zu denken geben. Sie haben Milliarden auf Sparbücher­n rumliegen, die langsam, aber sicher entwertet werden. Und Politiker, die Aktien für Teufelszeu­g halten. Dabei ist die Börse gerade für langfristi­g orientiert­e Sparer eine wichtige Alternativ­e. Noch schlechter als die Österreich­er kann man also kaum für das, was uns da blüht, vorbereite­t sein.

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VON NIKOLAUS JILCH

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