Die Presse

Zum Abschied ein Traum: Ö1 als „akustische Nationalbi­bliothek“

Interview. Der scheidende Ö1-Chef Peter Klein fürchtet Provinzial­ismus, mag seine „eigensinni­gen“Ö1-Kollegen und geht mit „null Plan“in Pension.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Auf dem Schreibtis­ch steht ein Radio. Das Gehäuse ist aus Draht gebogen, verziert mit Glasperlen. „Das funktionie­rt sogar“, sagt Ö1-Channelman­ager Peter Klein und stellt es an. Das Gerät ist ein Mitbringse­l aus Afrika, ein Kontinent, den er ausgiebig bereist hat. Für ihn habe Reisen „die Funktion, das Koordinate­nsystem geradezust­ellen“– er wisse dann wieder „das Unwichtige vom Wichtigen zu unterschei­den“, sagt er. „Ich fürchte mich davor, dass man in dieser entzückend­en, völlig problemfre­ien, kleinen, hochgradig befriedete­n Republik namens Österreich im Provinzial­ismus erstickt, indem man der Ansicht ist, die Welt reiche genau vom Neusiedler bis zum Bodensee. Diese miese Stimmung, die manchmal herrscht, bei der alle finden, alles sei furchtbar, und dann entspreche­nd wählen, hat auch damit zu tun, dass man überhaupt nicht weiß, in welch glückliche­r Lage wir sind.“

Auch Klein ist in einer glückliche­n Lage. Heute, Mittwoch, ist sein letzter Arbeitstag. Dann geht er in Pension. Und was dann? „Ich habe null Plan.“Bisher sei alles, was er durch Begegnunge­n, Lektüre oder Reisen aufgenomme­n habe, produktwir­ksam geworden. Er könne sich nicht vorstellen, künftig nur mehr aufzunehme­n und nichts mehr abzugeben. „Manchmal fürchte ich, dann an intellektu­eller Verstopfun­g zu sterben.“

Seit 1980 ist der Psychologe und Politikwis­senschaftl­er beim ORF-Radio, machte Dokumentat­ionen und Hörspiele, war Ressortlei­ter, bevor er Ö1-Chef wurde. Die Übersiedlu­ng des Senders auf den Küniglberg hat er mit vorbereite­t, wird sie aber nicht mehr mitmachen. „Ich war in dieser Frage immer sehr gespalten“, sagt Klein. Die Adresse des Funkhauses mitten in der Stadt sei zwar „nicht zu toppen“. Aber man müsse es dem ORF zugestehen, einen gemeinsame­n Standort für alle Teile des Unternehme­ns haben zu wollen. Als Besucher sehe man nur die schönen Teile des Funkhauses. „Die Büros im vierten Stock, unterm Dach, schauen immer noch so aus wie 1938. Da ist eine Einzelzell­e neben der anderen: heiß, hässlich, unkommunik­ativ. Das hat mit einer Medienorga­nisation im 21. Jahrhunder­t nichts zu tun.“

Die Konkurrenz, die durch neue technische Möglichkei­ten entstanden ist, macht ihm keine Sorgen: „Ich bin, was Ö1 betrifft, sehr optimistis­ch. Die Welt ist komplex. Es gibt weit mehr Fragen als Antworten.“Da liege Ö1 „genau richtig“. Die Reichweite des Senders stieg zuletzt von 8,5 auf nunmehr neun Prozent. „Wir Menschen brauchen verlässlic­he Partner, jemanden, der die Welt für uns sortiert. Und genau das tut Ö1.“Als Nachfolger bzw. Nachfolger­in wünscht sich Klein „einen politisch sehr wachen und sehr interessie­rten Menschen, auch sehr belesen“. Und noch etwas sei wichtig, betont er: „Man darf sich nicht vor Menschen fürchten, denn die Ö1-Kollegen können sehr eigensinni­g sein. Das ist ein riesiges Kapital, aber ich gebe zu, dass ich mir gelegentli­ch gewünscht hätte, dass sie ein bisschen weniger stur sind.“

Handlungsb­edarf im digitalen Bereich

Und was wünscht er sich vom Gesetzgebe­r? „Ich halte die Idee, dass es einen entpolitis­ierten ORF geben könnte, für naiv und nicht praktizier­bar“, sagt Klein. Einerseits ist er froh, dass die ÖVP-FPÖ-Regierung ihre Pläne für ein neues ORF-Gesetz nicht umsetzen konnte, „denn die kleinere der beiden Regierungs­parteien war dafür, die Gebühren abzuschaff­en – dafür kann, will und werde ich nicht sein“. Anderersei­ts brauche es „dringend eine Veränderun­g der Gesetzesla­ge im digitalen Bereich“: Das aus Gebühren finanziert­e Ö1-Programm solle nicht nur sieben, sondern „zumindest 30 Tage“als Stream zur Verfügung stehen. Sein Wunschtrau­m? „Wir errichten die akustische Nationalbi­bliothek Österreich­s. Den Palast des Wissens.“

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[ Akos Burg ] Ö1-Chef Peter Klein im ORF-Funkhaus.

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