Zum Abschied ein Traum: Ö1 als „akustische Nationalbibliothek“
Interview. Der scheidende Ö1-Chef Peter Klein fürchtet Provinzialismus, mag seine „eigensinnigen“Ö1-Kollegen und geht mit „null Plan“in Pension.
Auf dem Schreibtisch steht ein Radio. Das Gehäuse ist aus Draht gebogen, verziert mit Glasperlen. „Das funktioniert sogar“, sagt Ö1-Channelmanager Peter Klein und stellt es an. Das Gerät ist ein Mitbringsel aus Afrika, ein Kontinent, den er ausgiebig bereist hat. Für ihn habe Reisen „die Funktion, das Koordinatensystem geradezustellen“– er wisse dann wieder „das Unwichtige vom Wichtigen zu unterscheiden“, sagt er. „Ich fürchte mich davor, dass man in dieser entzückenden, völlig problemfreien, kleinen, hochgradig befriedeten Republik namens Österreich im Provinzialismus erstickt, indem man der Ansicht ist, die Welt reiche genau vom Neusiedler bis zum Bodensee. Diese miese Stimmung, die manchmal herrscht, bei der alle finden, alles sei furchtbar, und dann entsprechend wählen, hat auch damit zu tun, dass man überhaupt nicht weiß, in welch glücklicher Lage wir sind.“
Auch Klein ist in einer glücklichen Lage. Heute, Mittwoch, ist sein letzter Arbeitstag. Dann geht er in Pension. Und was dann? „Ich habe null Plan.“Bisher sei alles, was er durch Begegnungen, Lektüre oder Reisen aufgenommen habe, produktwirksam geworden. Er könne sich nicht vorstellen, künftig nur mehr aufzunehmen und nichts mehr abzugeben. „Manchmal fürchte ich, dann an intellektueller Verstopfung zu sterben.“
Seit 1980 ist der Psychologe und Politikwissenschaftler beim ORF-Radio, machte Dokumentationen und Hörspiele, war Ressortleiter, bevor er Ö1-Chef wurde. Die Übersiedlung des Senders auf den Küniglberg hat er mit vorbereitet, wird sie aber nicht mehr mitmachen. „Ich war in dieser Frage immer sehr gespalten“, sagt Klein. Die Adresse des Funkhauses mitten in der Stadt sei zwar „nicht zu toppen“. Aber man müsse es dem ORF zugestehen, einen gemeinsamen Standort für alle Teile des Unternehmens haben zu wollen. Als Besucher sehe man nur die schönen Teile des Funkhauses. „Die Büros im vierten Stock, unterm Dach, schauen immer noch so aus wie 1938. Da ist eine Einzelzelle neben der anderen: heiß, hässlich, unkommunikativ. Das hat mit einer Medienorganisation im 21. Jahrhundert nichts zu tun.“
Die Konkurrenz, die durch neue technische Möglichkeiten entstanden ist, macht ihm keine Sorgen: „Ich bin, was Ö1 betrifft, sehr optimistisch. Die Welt ist komplex. Es gibt weit mehr Fragen als Antworten.“Da liege Ö1 „genau richtig“. Die Reichweite des Senders stieg zuletzt von 8,5 auf nunmehr neun Prozent. „Wir Menschen brauchen verlässliche Partner, jemanden, der die Welt für uns sortiert. Und genau das tut Ö1.“Als Nachfolger bzw. Nachfolgerin wünscht sich Klein „einen politisch sehr wachen und sehr interessierten Menschen, auch sehr belesen“. Und noch etwas sei wichtig, betont er: „Man darf sich nicht vor Menschen fürchten, denn die Ö1-Kollegen können sehr eigensinnig sein. Das ist ein riesiges Kapital, aber ich gebe zu, dass ich mir gelegentlich gewünscht hätte, dass sie ein bisschen weniger stur sind.“
Handlungsbedarf im digitalen Bereich
Und was wünscht er sich vom Gesetzgeber? „Ich halte die Idee, dass es einen entpolitisierten ORF geben könnte, für naiv und nicht praktizierbar“, sagt Klein. Einerseits ist er froh, dass die ÖVP-FPÖ-Regierung ihre Pläne für ein neues ORF-Gesetz nicht umsetzen konnte, „denn die kleinere der beiden Regierungsparteien war dafür, die Gebühren abzuschaffen – dafür kann, will und werde ich nicht sein“. Andererseits brauche es „dringend eine Veränderung der Gesetzeslage im digitalen Bereich“: Das aus Gebühren finanzierte Ö1-Programm solle nicht nur sieben, sondern „zumindest 30 Tage“als Stream zur Verfügung stehen. Sein Wunschtraum? „Wir errichten die akustische Nationalbibliothek Österreichs. Den Palast des Wissens.“