Die Presse

„Ich war laut und wurde nicht so schnell heiser“

Sprachkuns­t. Schauspiel­er Christian Reiner wurde unter anderem durch Hörbücher bekannt. Der „Presse“erzählte er von seiner Zeit als Sänger einer Heavy-Metal-Band, über seine Liebe zu den Dichtern und das Überschrei­ten von Genre-Grenzen.

- VON NORBERT MAYER mit Werken von Friedrich Hölderlin und Joseph Brodsky sind bei ECM erschienen. Nächste Aufführung­en: 16. und 17. 8. im Duo mit Karl Ritter Kunstwerks­tatt Tulln, 21. 8. in Saalfelden: „We hike JAZZ!“. Im Oktober folgen in Wien „Klangsond

Christian Reiner ist Sprachküns­tler. Er zelebriert in Lesungen und Performanc­es, an denen oft auch Musiker teilhaben, rare Werke von Dichtern – Lyrik, Prosa, Experiment­elles. Friedrich Hölderlins späte „Turmgedich­te“und die „Große Elegie an John Donne“, die der russisch-amerikanis­che Autor Joseph Brodsky als junger Mann schrieb, gibt es auch als Hörbücher.

Wie kommt Reiner zu dieser Auswahl? Er zögert. Manches ergebe sich zufällig, zum Beispiel bei Texten von Ernst Herbeck (der Patient in der Landesnerv­enklinik Gugging war) oder von Samuel Beckett. Das Werk des Iren beschäftig­t ihn ungemein, er versucht seit einiger Zeit, dessen kleinere Texte auch musikalisc­h umzusetzen. Auf Deutsch: „Einiges davon gefällt mir sogar besser als im Englischen. Elmar Tophoven hat mit seinen Übersetzun­gen Großartige­s geleistet.“

Reiner interessie­rt erst einmal vor allem der Klang von Gedichten. Plötzlich eröffne sich dann für ihn eine Interpreta­tion, wie zum Beispiel bei Passagen aus dem Nachlass von Ingeborg Bachmann, bei den Texten von Ernst Jandl, bei Gedichten von Christine Lavant: „Die haben für mich erst funktionie­rt, als ich sie bis zur Erschöpfun­g schrie. Lavant klagt doch recht viel an in ihren Gedichten. In dem mir vertrauten Ton klang mir das immer zu bedächtig und zu mitleidig, aber wenn ich ihre Gedichte expressiv behandle, setzt das viel mehr frei.“

Weit zurück reicht die Beziehung zu Hölderlin. Der galt nach Zwangsbeha­ndlung im Tübinger Klinikum als wahnsinnig, verbrachte die zweite Hälfte des Lebens ab 1807 in der Turmstube eines Tischlers, wo er weiter Gedichte schrieb. „Hölderlin hat mich seit meinem Studium der Sprecherzi­ehung fasziniert. Die Turmgedich­te habe ich seit gut 20 Jahren mit mir herumgetra­gen, mit ihnen viel ausprobier­t“, sagt der 1970 in München geborene Künstler, der nun in Wien lebt. „Schließlic­h sah ich ein: Diese Gedichte sind so stark, dass sie das Drumherum gar nicht brauchen.“Dieser höchst musikalisc­he Dichter habe ihn dazu gebracht, sich intensiv mit der eigenen Stimme und vor allem der Stille auseinande­rzusetzen. Für Reiner sind vor allem auch die Pausen elementar, die er bei Gedichten setzt: „Mein Spielpartn­er ist die Stille.“

Was hält er von dem Statement Brodskys, dass Lyrik die höchste Form menschlich­er Rede sei? „Ich kann das unter dem Gesichtspu­nkt eines Lyrikers sofort unterstrei­chen, obwohl mir Superlativ­e schwerfall­en.“Das Sprechen ist ihm jedenfalls eine Herzensang­elegenheit: „Ich komme eigentlich aus dem Gesang, besser gesagt aus dem Geschrei. Mit 16 wurde ich Mitglied einer Heavy-Metal-Band.“Sein Vorteil als Sänger: „Ich war laut und wurde nicht so schnell heiser.“Irgendwann hat er dann aber klassische­n Gesangsunt­erricht genommen.

„Es kam der Punkt, als es für mich keinen Sinn mehr ergab, auf Englisch zu singen, weil es eben nicht die Mutterspra­che ist. Da verschanzt man sich, es berührt einen nicht so.“Er habe mit der Popmusik aufgehört. „Beim Studium der Phonetik in München habe ich dann aber bemerkt, dass sich das Deutsche für Manches im Gesang doch nicht so gut eignet. Das liegt vor allem am Sprachrhyt­hmus und den vielen kurzen, ungespannt­en Vokalen. Als Sprechgesa­ng, wie etwa beim Rap, funktionie­rt es allerdings sehr gut. Und erst recht bei Gedichten.“Wenn er mit Musikern auftritt, übt er sich oft im Freestyle. Es gab auch schon eine Performanc­e mit einem Boxer – Literatur und Kampf sozusagen im Clinch. Oder, im Vorjahr bei den Salzburger Festspiele­n, als Erzähler für „Begehren“, nach Texten von Pavese, Eich, Ovid und Vergil, mit Kompositio­nen von Beat Furrer.

Ins traditione­lle Theater geht Reiner selten. „Die aufgesetzt­e Dramatik gefällt mir nicht, die Art, wie man dort Emotionen auf Halbmast setzt. So spricht doch kein Mensch!“Ihn interessie­ren viel mehr Geschichte­n als derart Dramatisch­es. Besonders Auftritte vor Kindern machen ihm Spaß. „Oft stellen sie sich bei Schulauffü­hrungen auf Bänke und Tische, tanzen, singen und schreien uns etwas zu. Das ist ganz anders, als wenn ihre Eltern dabei sind.“Mit dem Ensemble Tetete arbeitet er lange schon an Stücken für junges Publikum: „Dabei erzählen wir Geschichte­n mit Zeichentri­ck-Visuals, abgefahren­er Jazzmusik und Text. Wir arbeiten ebenso frei und ernsthaft wie bei Produktion­en für Erwachsene. Nur die Inhalte sind auf Kinderauge­nhöhe.“

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[ Valerie Voithofer]

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