„Ich war laut und wurde nicht so schnell heiser“
Sprachkunst. Schauspieler Christian Reiner wurde unter anderem durch Hörbücher bekannt. Der „Presse“erzählte er von seiner Zeit als Sänger einer Heavy-Metal-Band, über seine Liebe zu den Dichtern und das Überschreiten von Genre-Grenzen.
Christian Reiner ist Sprachkünstler. Er zelebriert in Lesungen und Performances, an denen oft auch Musiker teilhaben, rare Werke von Dichtern – Lyrik, Prosa, Experimentelles. Friedrich Hölderlins späte „Turmgedichte“und die „Große Elegie an John Donne“, die der russisch-amerikanische Autor Joseph Brodsky als junger Mann schrieb, gibt es auch als Hörbücher.
Wie kommt Reiner zu dieser Auswahl? Er zögert. Manches ergebe sich zufällig, zum Beispiel bei Texten von Ernst Herbeck (der Patient in der Landesnervenklinik Gugging war) oder von Samuel Beckett. Das Werk des Iren beschäftigt ihn ungemein, er versucht seit einiger Zeit, dessen kleinere Texte auch musikalisch umzusetzen. Auf Deutsch: „Einiges davon gefällt mir sogar besser als im Englischen. Elmar Tophoven hat mit seinen Übersetzungen Großartiges geleistet.“
Reiner interessiert erst einmal vor allem der Klang von Gedichten. Plötzlich eröffne sich dann für ihn eine Interpretation, wie zum Beispiel bei Passagen aus dem Nachlass von Ingeborg Bachmann, bei den Texten von Ernst Jandl, bei Gedichten von Christine Lavant: „Die haben für mich erst funktioniert, als ich sie bis zur Erschöpfung schrie. Lavant klagt doch recht viel an in ihren Gedichten. In dem mir vertrauten Ton klang mir das immer zu bedächtig und zu mitleidig, aber wenn ich ihre Gedichte expressiv behandle, setzt das viel mehr frei.“
Weit zurück reicht die Beziehung zu Hölderlin. Der galt nach Zwangsbehandlung im Tübinger Klinikum als wahnsinnig, verbrachte die zweite Hälfte des Lebens ab 1807 in der Turmstube eines Tischlers, wo er weiter Gedichte schrieb. „Hölderlin hat mich seit meinem Studium der Sprecherziehung fasziniert. Die Turmgedichte habe ich seit gut 20 Jahren mit mir herumgetragen, mit ihnen viel ausprobiert“, sagt der 1970 in München geborene Künstler, der nun in Wien lebt. „Schließlich sah ich ein: Diese Gedichte sind so stark, dass sie das Drumherum gar nicht brauchen.“Dieser höchst musikalische Dichter habe ihn dazu gebracht, sich intensiv mit der eigenen Stimme und vor allem der Stille auseinanderzusetzen. Für Reiner sind vor allem auch die Pausen elementar, die er bei Gedichten setzt: „Mein Spielpartner ist die Stille.“
Was hält er von dem Statement Brodskys, dass Lyrik die höchste Form menschlicher Rede sei? „Ich kann das unter dem Gesichtspunkt eines Lyrikers sofort unterstreichen, obwohl mir Superlative schwerfallen.“Das Sprechen ist ihm jedenfalls eine Herzensangelegenheit: „Ich komme eigentlich aus dem Gesang, besser gesagt aus dem Geschrei. Mit 16 wurde ich Mitglied einer Heavy-Metal-Band.“Sein Vorteil als Sänger: „Ich war laut und wurde nicht so schnell heiser.“Irgendwann hat er dann aber klassischen Gesangsunterricht genommen.
„Es kam der Punkt, als es für mich keinen Sinn mehr ergab, auf Englisch zu singen, weil es eben nicht die Muttersprache ist. Da verschanzt man sich, es berührt einen nicht so.“Er habe mit der Popmusik aufgehört. „Beim Studium der Phonetik in München habe ich dann aber bemerkt, dass sich das Deutsche für Manches im Gesang doch nicht so gut eignet. Das liegt vor allem am Sprachrhythmus und den vielen kurzen, ungespannten Vokalen. Als Sprechgesang, wie etwa beim Rap, funktioniert es allerdings sehr gut. Und erst recht bei Gedichten.“Wenn er mit Musikern auftritt, übt er sich oft im Freestyle. Es gab auch schon eine Performance mit einem Boxer – Literatur und Kampf sozusagen im Clinch. Oder, im Vorjahr bei den Salzburger Festspielen, als Erzähler für „Begehren“, nach Texten von Pavese, Eich, Ovid und Vergil, mit Kompositionen von Beat Furrer.
Ins traditionelle Theater geht Reiner selten. „Die aufgesetzte Dramatik gefällt mir nicht, die Art, wie man dort Emotionen auf Halbmast setzt. So spricht doch kein Mensch!“Ihn interessieren viel mehr Geschichten als derart Dramatisches. Besonders Auftritte vor Kindern machen ihm Spaß. „Oft stellen sie sich bei Schulaufführungen auf Bänke und Tische, tanzen, singen und schreien uns etwas zu. Das ist ganz anders, als wenn ihre Eltern dabei sind.“Mit dem Ensemble Tetete arbeitet er lange schon an Stücken für junges Publikum: „Dabei erzählen wir Geschichten mit Zeichentrick-Visuals, abgefahrener Jazzmusik und Text. Wir arbeiten ebenso frei und ernsthaft wie bei Produktionen für Erwachsene. Nur die Inhalte sind auf Kinderaugenhöhe.“