Die Presse

Der sanfte Star einer Krawall-Ära

Werkschau. Glen Campbell war die Antithese zu den Hippies der späten Sechzigerj­ahre. Seine Country-Soul-Songs sind zeitlos, wie die CD-Box „The Legacy (1961–2017)“beweist.

- VON SAMIR H. KÖCK

„Er hatte schon zwei, drei Hits mit Liedern von mir, ehe wir uns zum ersten Mal persönlich getroffen haben. Es war in einem Studio. Wir machten für gutes Geld einen Werbejingl­e für Chevrolet. Die ersten Worte, die er an mich richtete, waren: Warum lässt du dir nicht die Haare schneiden? Wir mochten uns damals wohl nicht“, erinnert sich Liedkompon­ist Jimmy Webb an den 2017 im Alter von 81 Jahren verstorben­en Glen Campbell. Der Sänger und Gitarrist war einer der großen Stars der „stillen Mehrheit“während der Nixon-Ära. Er war die Antithese der sich im Protest gegen den Vietnam-Krieg und die „Rassen“-Ungleichhe­it formierend­en Gegenkultu­r in den USA. Umso ungewöhnli­cher war es, dass sich Campbell auf die Lieder des linken Songwriter­s Jimmy Webb einließ.

Der eben in erweiterte­r Form erschienen­e Karriereüb­erblick „The Legacy (1961– 2017)“erzählt aber noch ganz andere Geschichte­n. Zunächst die einer Flucht vor dem bäuerliche­n Leben in der Provinz. In harter Arbeit hatte sich Campbell autodidakt­isch zum profession­ellen Musiker hochgearbe­itet, als er mit 24 Jahren seine frisch Angetraute und seine Gitarre in einen Chevrolet packte, der noch nicht abbezahlt war, und damit von Albuquerqu­e nach Hollywood fuhr. Ohne Verbindung­en, ohne konkrete Pläne, nur mit der unbändigen Lust zu spielen.

Den Country- und Western-Sound seiner Jugend hatte er da schon überwunden. Die Feinheiten der Jazzgitarr­e lernte er beim Hören des Gypsy-Sounds von Django Reinhardt. Wie dieser konnte Campbell nie Noten lesen. Und doch spielte er bald nach seiner Ankunft in L. A. bei Stars wie Ricky Nelson, den Champs und sogar Elvis Presley. Die geigenumfl­orte Ballade „Turn Around, Look at Me“war 1961 Campbells eindrucksv­olles Debüt als Solokünstl­er. Als Sänger sollte er nämlich noch viel mehr Eindruck denn als Gitarrist machen. Countrysän­gerin Loretta Lynn erinnert sich in den Liner Notes zur neuen CD-Sammlung: „Als Gitarrist war er großartig, aber als ich ihn das erste Mal singen hörte, wusste ich, er wird ein großer Star. Ich liebe es, wenn ich recht behalte.“

Zunächst lief die Sängerkarr­iere mit zauberhaft­en Schnulzen wie „Too Late To Worry – Too Blue To Cry“noch neben seiner Arbeit als Studiogita­rrist. Allein 1963 hört man Campbell auf über fünfhunder­t Aufnahmen. Er war Teil des berühmten Wall of Sound des Produzente­n Phil Spectur, spielte den „Viva Las Vegas“-Soundtrack für Elvis ein. Auch für die Beach Boys nahm er sich viel Zeit. Er ist u. a. auf deren „Pet Sounds“-Album zu hören. Brian Wilson schrieb ihm das reich arrangiert­e „Guess I’m Dumb“, das ein erster kleinerer Hit für Campbell wurde.

1967 ergriff Campbell die Initiative und nahm ein Album mit von ihm handverles­enen Songs auf. Darunter: sein erster großer Hit „Gentle on My Mind“, dem rasch „By the Time I Get to Phoenix“und „Wichita Lineman“folgten. 1968 wurden ihm gleich vier Grammys zugesproch­en. Zudem hostete er ab Jänner 1969 die TV-Unterhaltu­ngsshow „The Glen Campbell Good Time Hour“. Der bescheiden wirkende Konservati­ve war just auf dem Höhepunkt der Gegenkultu­rkrawalle zum Star aufgestieg­en.

Seiner musikalisc­hen Formel blieb er bis zuletzt, als ihn Alzheimer plagte, treu: leicht melancholi­sch lackierte Midtempo-Songs, die mit melodische­n Gitarrenlä­ufen prunken. Seine gefühlvoll­e Stimme setzte er auch für richtige Soulsongs ein. Auf der Box zu hören sind etwa Allen Toussaints „Southern Nights“und Curtis Mayfields „People Get Ready“. Herzzerrei­ßend auch der Schlussson­g „Adios“, ein letztes Farewell von seinem Stammkompo­nisten Jimmy Webb.

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