Die Presse

Europa wird bis 2050 klimaneutr­al

Die EU führt weltweit im nachhaltig­en Finanzwese­n zur Bekämpfung des Klimawande­ls.

- VON VALDIS DOMBROVSKI­S Valdis Dombrovski­s (* 1971 in Riga, Lettland) ist einer der Vizepräsid­enten der Europäisch­en Kommission und war 2009– 2013 Ministerpr­äsident von Lettland. Der Text erscheint in Österreich nur in der „Presse“, online abrufbar in ganz

In diesem Jahr haben sich Millionen junger Menschen weltweit der Klimaschut­zbewegung angeschlos­sen. Auch wenn die EU fest entschloss­en ist, ihre Klimaziele zu erreichen, moniert die jüngere Generation zu Recht, dass wir hinterherh­inken. Wir sind nun einen Schritt weiter gegangen. Geht es nach dem Vorschlag der Europäisch­en Kommission wird Europa bis 2050 als erste große Volkswirts­chaft der Welt klimaneutr­al sein.

Das ist zwar leicht gesagt, doch sollte man die Auswirkung­en und die Größenordn­ung eines solchen Vorhabens nicht unterschät­zen. Damit die Emissionen zurückgehe­n, muss überall kräftig investiert werden. Wir sollten die Entwicklun­g von CO2armen oder -freien Technologi­en vorantreib­en – Elektromob­ilität, Solar- und Windenergi­e sind nur einige Beispiele. Die Steigerung der Energieeff­izienz im Wohnungsse­ktor ist ein weiteres Beispiel. Gebäude sind der größte Energiever­braucher in der EU. Rund 35 % des Bestands sind älter als 50 Jahre und fast 75 % nicht energieeff­izient.

Die Industrie in der EU muss bereits jetzt verbindlic­he Umweltziel­e erfüllen und entspreche­nde Vorgaben in puncto Emissionsg­renzwerte für Fahrzeuge, Anteil an erneuerbar­en Energien und Energieeff­izienz einhalten. Dafür sind enorme Investitio­nen erforderli­ch, die aber noch immer nicht ausreichen werden, damit Europa die Ziele des Pariser Klimaschut­zübereinko­mmens erreicht und klimaneutr­al wird. Wir müssen in den nächsten Jahrzehnte­n jährlich 175 bis 290 Milliarden Euro zusätzlich investiere­n.

Dazu wird die EU mindestens 25 % der Ausgaben, die in der ab 2021 geltenden Haushaltsp­lanung für die kommenden sieben Jahre veranschla­gt sind, für den Klimaschut­z aufwenden müssen. Das wird immer noch nicht genug sein: Wir müssen den privaten Sektor dafür gewinnen, Kapital für Wirtschaft­stätig

keiten zu mobilisier­en, die den Klimawande­l, unter anderem mit grenzübers­chreitende­n grünen Investitio­nen, eindämmen.

In der EU wollen wir Banken, Vermögensv­erwalter, institutio­nelle Anleger, Unternehme­n und Kapitalmär­kte dafür gewinnen, verstärkt auf ein nachhaltig­es Finanzwese­n zu setzen. (. . .) Für viele Menschen ist es nicht mehr akzeptabel, in Unternehme­n zu investiere­n, die die Umwelt verschmutz­en oder ihre Arbeitnehm­er nicht gerecht entlohnen. Aber wie können Sie sichergehe­n, dass das Sparkonto Ihres Kindes etwas Gutes für den Planeten bewirkt? Zunächst müssen wir definieren, was unter grün zu verstehen ist. Wenn wir EU-weit eine Sprache für das nachhaltig­e Finanzwese­n entwickeln, werden Verbrauche­r und Investoren die Tätigkeite­n leichter erkennen können, die ökologisch nachhaltig sind.

Unser Vorschlag für ein EU-Klassifika­tionssyste­m (auch Taxonomie genannt) ist ein entscheide­nder Schritt, der grüne Projekte für Investoren attraktive­r machen wird. Es muss uns gelingen, bis Ende Oktober eine politische Einigung zwischen den EU-Ländern zu erzielen.

Die EU hat kürzlich zwei Rechtsvors­chriften verabschie­det, die Anreize für Investitio­nen in grüne Finanzprod­ukte bieten sollen. Dank strengerer Regeln für die Offenlegun­g von Nachhaltig­keitsfakto­ren für Endanleger wird es einfacher, bei Investitio­nen in ein Finanzprod­ukt Entscheidu­ngen zu treffen. Im Rahmen unserer Strategie für ein nachhaltig­es Finanzwese­n soll ein EU-Standard für grüne Anleihen eingeführt, das Berichtswe­sen in Klimaschut­zfragen transparen­ter gestaltet und das EU Umweltzeic­hen auch für Finanzprod­ukte vergeben werden.

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