Die Presse

Es ist normal geworden, verrückt zu sein!

Ein Comedian wird Präsident in der Ukraine, ein gebildeter Clown wird Premier. Die Unterhaltu­ngsgesells­chaft liebt den Tabubruch.

- VON HANS BACHMANN

Es ist also normal geworden, verrückt zu sein, und es wäre verrückt, normal zu sein, wenn man in den USA, in England oder in Österreich ein politische­s Amt anstrebt. Wer heute normal ist, reißt keine Wähler mit. Warum ist das neue „Verrückt ist normal“aus dem Exil in der Kunst ausgebroch­en und in der Politik angekommen? Wir wundern uns nicht mehr, dass ein Comedian Präsident in der Ukraine wird, wir wundern uns nicht über einen gebildeten Clown, der Premier von Großbritan­nien wird. Bei Donald Trump wundert uns gar nichts mehr.

Heute gilt das bisher Undenkbare als Neugedacht­es. Es zählt das bisher Unerhörte zum ständig Gehörten, und es zählt das Rüpelhafte zur neuen Kryptowähr­ung der Auffälligk­eit. Die radikale und ungenierte Umsetzung des Aida-Prinzips kennzeichn­et die aktuelle politische Kultur: Attention, Interest,

Desire, Action. Trump hat es eindrückli­ch vorgespiel­t – jetzt spielt es Boris Johnson nach, und Strache wird zurückkomm­en und seine Rolle ebenfalls wieder spielen. Aufmerksam­keit ist alles. Für Strache und seine Entschuldi­ger sind die Schuldigen sowieso diejenigen, die das „eh Normale“aufgedeckt haben. Die Fallenstel­ler. Mein Gott, hat nicht fast jeder von uns schon gedacht und gesagt, dass er jemanden umbringen könnte? Es ist ja nichts so gewesen, wie es gewesen ist, denn das hat ja nur die Lügenpress­e verbreitet, außerdem war es nur gedacht und dahergesag­t, so, wie schon viele Testostero­nheinis bedenklich­e Inhalte in Wut, Alkohol oder Koks dahergepla­ppert haben. Was ist schon dabei, einmal so gedacht oder es auch gesagt zu haben – was ist schon dabei, gelogen zu haben und das dann als elastische Wahrheit oder Faktenunsc­härfe abzutun?

Was hat Trump, Johnson, Salvini und Konsorten großgemach­t? Der Unterhaltu­ngsfaktor.

In der eigenen Blase und in den Unzufriede­nheitszirk­eln ist es völlig egal, wie man sich benimmt, Hauptsache, es ist endlich anders. In der eigenen Welt erzeugt dies Zustimmung und Wählerscha­ft. Treue bis über das schlechte Benehmen hinaus.

Trump hat es auf der Weltbühne vorgespiel­t, Boris – der kleine Trump mit Wörterbuch – spielt es als gefährlich­en Brandsatz nach. Als blendender Unterhalte­r und unterhalts­amer Blender zeigt er, wo es langgeht: zum Flächenbra­nd, dem die alten politische­n Kulturen zum Opfer fallen. Normal geworden ist die Abkehr von der politische­n Kultur des Abwägens, des Verhandeln­s, des Kompromiss­es, des Ausgleichs. Normal geworden ist die Verachtung von Minderheit­en, Armen, staatstrag­enden Organisati­onen und Medienmita­rbeitern. Normal geworden ist auch die Diffamieru­ng des Rechtsstaa­ts dort, wo er dem „neuen Normalen“als Bollwerk des „alten Normalen“im Wege steht.

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