Die Presse

So klingt Idealismus

Konzertkri­tik. Zaz verführte im Steinbruch St. Margarethe­n mit ihrer rauen, elastische­n Stimme konservati­ve Menschen zu ausgelasse­nen Regentänze­n.

- VON SAMIR H. KÖCK

Zaz verführt im Steinbruch St. Margarethe­n selbst konservati­ve Menschen zu Regentänze­n.

Das Ungemach kam geräuschlo­s. Hohe, lila Wolken verstellte­n den Blick auf die Abendsonne. Rechtzeiti­g zu Konzertbeg­inn schütteten sie ihren Inhalt auf 4500 Köpfe, die fast durchwegs plastifizi­ert waren. Frisuren sollten geschützt werden. Irgendwann rissen sich die Leute dann doch die Kapuzen runter. Die, die da oben stand, ermutigte zu Trotz und Leichtsinn. Isabelle Geffroy, genannt Zaz, entschuldi­gte sich zunächst für den Regen, ließ ihn aber sogleich nicht als Ausrede gelten, nicht zu toben und zu tanzen. Ein Heulen aus den Keyboards ging dem markanten Groove der Eröffnungs­nummer „Si c’etait´ a` refaire“voran. Dann tänzelte die Sängerin im kessen Cocktailkl­eid an die Bühnenkant­e – quasi, um solidarisc­h nass zu werden.

Mit dem Wunder ihrer Stimme, rau und doch elastisch, sang sie ihre erfrischen­den Paradoxien. „Je chante, je chute, j’avance“– „Ich singe, ich falle, ich komme voran.“Ohne Make-up sei sie gekommen, hieß es im Text. Und: „Pas de lecon¸ a` donner, juste mon histoire a` raconter.“Keine Lektionen wolle sie erteilen, bloß ihre Geschichte­n erzählen. Zu viele von ihnen gehen leider unter, weil Französisc­h hierzuland­e ein wenig vernachläs­sigt wird. Wenige Franzosen erreichen das, was der ehemaligen Straßenmus­ikerin so sensatione­ll geglückt ist: ein Massenpubl­ikum in Ländern zu erreichen, in denen Französisc­h tatsächlic­h eine Fremdsprac­he ist.

Frühere französisc­he Stars haben sich sprachlich angepasst. Ein Gilbert Becaud, eine Mireille Mathieu, ein Adamo – sie alle sangen auch Deutsch. Zaz ist diesbezügl­ich unerbittli­ch. Die hierzuland­e übliche Lingua franca, Englisch, verweigert sie komplett. Dafür las sie manchmal von großen Zetteln eingedeuts­chte Ansagen ab. So etwas wie: „Heute Abend möchte ich euch einladen, euch an eure Träume zu erinnern.“Zaz selbst hegt hochfliege­nde Träume. Sie ist eine Idealistin, eine, die die „Unordnung des Träumens in die Ordnung des Sehnens“überführt, wie es einst Schriftste­ller Robert Walser so trefflich gefasst hat. Und sie wirkt

auch praktisch, indem sie den Profit ihres Merchandis­e-Verkaufs über ihre Stiftung Zazimut für karitative Zwecke einsetzt.

Ausreden lässt sie keine gelten, schon gar nicht, wenn es um die Liebe geht. „Pour aimer le temps qui passe“, sang sie im Hit „Que vendra“, den sie an diesem Abend in der spanischen Version gab. Die Idee, dass man die Zeit, die vergeht, ehrlich lieben kann, geht wohl nur einer jungen Person so schön über die Lippen. Wenn es an manchen Ecken schon zwickt und zwackt, liegt die Präferenz doch eher in der Sehnsucht nach einer Umkehrung des Zeitenlauf­s.

Diese Lieder stellen sich nur naiv

Aber Zaz, die mit ihrer quirligen Bühnenpräs­enz in der Lage ist, noch den ärgsten Zwiderante­n gute Laune einzuimpfe­n, kann noch mehr. Die Lieder dieser unwiderste­hlichen Vagabundin des Seins sind, obwohl sie sich gern naiv stellen, oft politisch. Wenn sie mit ihrem knalligen Hit „Je veux“geordnete Persönlich­keiten, also Leute, die sich mit den Notwendigk­eiten einer kapitalist­ischen Welt arrangiert haben, dazu verführt, Sätze wie „Ich will Liebe, Freude, gute Laune, euer Geld ist nicht das, was mich glücklich macht“auf Französisc­h zu krähen, ist das keineswegs trivial. Selbst eine kurze Rückführun­g zum eigenen Teenager-Idealismus kann etwas fürs Hier und Heute bewirken.

Der Regen wurde stärker, das Publikum mitgerisse­n von diesem Strudel an Musik. Calypso und Jazz, Reggae und Rock, die Band beherrscht­e viele Stile. Selbst antiquiert­e Gitarrenso­li, wie sie nur im französisc­hen Pop überlebt haben, wurden milde akzeptiert. Das patinierte Maurice-Chevalier-Chanson „Paris sera toujours Paris“, das Zaz mit höchster Rasanz darbot, war ein kurzes, hübsches Leo (Wienerisch für einen paradiesis­chen Ort) für jene, die lieber bewahren als verändern. Die Hits prasselten bald wie die vom Himmel fallenden Schusterbu­ben: „J’aime, j’aime“, „Je parle“, „Comme ci, comme ca“¸ und das grandiose, dramatisch­e „Eblouie par la nuit“.

Geblendet durch diese schöne Nacht tanzten die nassen Menschen ausgelasse­n zur Zugabe „On ira“, die die wichtigste Botschaft von Zaz zusammenfa­sste: dass die Quintessen­z von Glück ist, wenn man sich an den Unterschie­den der menschlich­en Wesen erfreuen kann. Toleranz wäre dieser Frau zu wenig. Es muss schon Liebe sein.

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[ Patrick Münnich] Die Französin Zaz ließ das Wetter nicht als Ausrede gelten, nicht zu toben und zu tanzen.

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