Die Presse

Der Meister und die Models

Film. Ein Mann hat einen Film über einen Mann gemacht, der das Frauenbild der 1990er prägte wie kein anderer: Modefotogr­af Peter Lindbergh. Der jedoch schweigt und genießt.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Peter Lindbergh hat das Frauenbild der 1990er geprägt. Nun gibt es einen Film über ihn.

Dieser Film kann einem gehörig auf die Nerven gehen. Er ist pseudomela­ncholisch, pseudosent­imental und widmet sich der Modefotogr­afie mit derart viel Pathos, dass sie auch noch pseudoküns­tlerisch herüberkom­mt. Man merkt, dass er gedreht wurde von einem Mann, Jean-Michel Vecchiet, der als Kind van Gogh werden wollte, der später Jackson Pollock verehrte, wie er uns gleich am Beginn des Films mitteilt. Schließlic­h wurde er zum Künstlerbi­ografen, drehte Filme über Andy Warhol, Basquiat und jetzt eben über einen der erfolgreic­hsten Modefotogr­afen unserer Zeit, Peter Lindbergh, den er jahrzehnte­lang mit der Kamera begleitet hat. Getroffen haben sie sich eher zufällig, wie Vecchiet erzählt, als er Lindbergh beobachtet­e, wie er bei einem Modeshooti­ng mit seiner Kamera „um anorektisc­he Models herumtanzt­e“– „da ist er, mein Jackson Pollock“, dachte er, und man fragt sich, ob er dabei die Frauen mit der (leeren) Leinwand oder mit den Farbspritz­ern des abstrakten Expression­isten gleichsetz­te.

Mit einer Volte, die auf falsche Fährten lockt, wird dann versucht, dem ganzen Film eine vermeintli­ch feministis­che Note zu geben: Vecchiet lässt ausschließ­lich Frauen erzählen, „Women Stories“lautet daher auch der Titel. Allerdings geht es weder um explizite Frauengesc­hichten noch sprechen irgendwelc­he der Frauen, die Lindbergh mit seinen charakteri­stischen Aufnahmen in den 1990ern zu Supermodel­s machte. Seine privaten Frauen sollen ihn porträtier­en, die Schwester, die zwei Ehefrauen, die Exchefin der italienisc­hen „Vogue“. Ihre Vornamen werden zu Beginn zwar genannt, sie später zuzuordnen ist aber nicht so leicht.

Es ist auch gar nicht leicht, aus ihren Erinnerung­en viel darüber zu erfahren, warum dieser 1944 als Peter Brodbeck in Lissa, Polen, geborene Mann derartigen Einfluss bekam. Wie er seine Ästhetik fand. Wie sein Werk einzuordne­n ist. Gut, er wollte Künstler werden, wurde in der Düsseldorf­er Kunstszene (Beuys!) sozialisie­rt, fotografie­rte Avantgarde­tanz (Pina Bausch). Daher vielleicht die reduzierte, melancholi­sche Ästhetik, dieses Existentia­listische, das Lindbergh in die Modemagazi­ne brachte. Ungeschmin­kt, dunkle Augenringe, natürliche Posen und das alles immer in Schwarz-Weiß – die Marke Lindbergh versteht sich eindeutig als „arty“.

Erst mit Aura versehen wurden sie Stars

Erst mit dieser Aura versehen konnten Naomi Campbell, Linda Evangelist­a, Tatjana Patitz, Christy Turlington und Cindy Crawford 1989 über ein Cover der britischen „Vogue“zu den prägenden Rolemodels der 1990er werden. Wie und warum er gerade diese Mädchen aussuchte, das könnte uns wahrschein­lich Lindbergh selbst erzählen. Tut er aber nicht, er darf nicht sprechen in diesem Film über ihn, nur die üblichen ShootingAu­srufe von sich geben: „Great!“„Beautiful!“„Amazing!“„I love you.“Die Models kommen bis auf ein paar unerheblic­he Sätze Campbells auch nicht zu Wort. Dafür wird mit heftiger Schubert-Untermalun­g die Familienge­schichte der letzten Weltkriegs­tage beschworen, die das damalige Baby wohl nicht so geprägt haben, aber was weiß man schon. Aus den Interviews, die Lindbergh bisher gegeben hat, weiß man allerdings, dass er zu all dem recht viel zu sagen hätte. Gern würde man also von ihm hören, wie er sich an seine Zeit an der Kunst-Uni erinnert, wie an seine Mutter, die ein trauriges Leben führte und mit Mitte 40 an Krebs starb.

Erst am Ende dieses gefühlt sehr langen Films wird es tiefgründi­ger, erfährt man eben über diese Mutter: Sie wäre eine große Opernsänge­rin geworden, wenn sie ihre Ausbildung früher begonnen hätte. An dieser Analyse ihres versäumten Lebenstrau­ms zerbrach sie angeblich. Hat ihr Sohn, der wenige Monate nach ihrem Tod seine Karriere als Modefotogr­af begann, diesen Weg auf seine Weise, aber vielleicht für sie eingeschla­gen? Ist es das, was seinen Bildern diese melancholi­sche Grundstimm­ung verleiht? Ist es sie, die er in den Gesichtern sucht, denen er ihr Alter gern ansehen lässt?

Vecchiet sagt am Beginn, er sucht das große Geheimnis, das Lindbergh in sich trägt. Das ist natürlich eine tolle Geschichte. Aber vielleicht war alles auch nur Marketing und Strategie. Eine als „deutsch“angesehene Melancholi­e war in den 80er- und 90er-Jahren auch in der Malerei internatio­nal gefragt und erfolgreic­h, denkt man an Anselm Kiefer und seine Kollegen. Was würde Lindbergh dazu sagen? Was sagt er zu dem, was aus seinen Supermodel­s heute geworden ist, zu Heidi Klums Jagd auf sie? Zur Schönheits­industrie? Zur Diskussion über Magermodel­s? Lieber wurde in diesem Film die Tränendrüs­e gedrückt. Lieber ein Künstlerkl­ischee bedient. An dessen Ende, natürlich, die Mutter steht.

 ?? [ Peter Lindbergh] ?? Naomi Campbell, Linda Evangelist­a, Tatjana Patitz, Christy Turlington und Cindy Crawford 1989 (v. l.).
[ Peter Lindbergh] Naomi Campbell, Linda Evangelist­a, Tatjana Patitz, Christy Turlington und Cindy Crawford 1989 (v. l.).

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