Chaos nach Elga-Start in Wien
Praxen. Die von Ausfällen begleitete Einführung der Elektronischen Gesundheitsakte hat zu frustrierten Ärzten sowie Patienten geführt – die Ärztekammer rät nun sogar von ihrer Verwendung ab.
Wien. Als letztes Bundesland in Österreich wird die Elektronische Gesundheitsakte (Elga) seit Anfang Juli auch bei niedergelassenen Kassenärzten in Wien ausgerollt. Mitte September soll das System flächendeckend im Einsatz sein – danach sieht es derzeit aber nicht aus. Denn nach Hunderten technischen Ausfällen mit langen Wartezeiten als Folge sind Ärzte und Patienten derart frustriert, dass die Ärztekammer allen niedergelassenen Medizinern bis auf Weiteres davon abrät, Elga zu nutzen.
1 Welche konkreten Probleme traten bisher auf, und welche Folgen hatten sie?
Wer sich im Juli bei einem Arzt mit Kassenvertrag in Wien ein Rezept ausstellen ließ, war möglicherweise selbst schon von den Verzögerungen betroffen. Gibt der Arzt den Namen eines Medikaments in seinen Computer ein, schaltet sich das Elga-System ein und generiert einen QR-Code für die Apotheke, der auf das Rezept gedruckt wird.
Dieser Zwischenschritt sollte keine Sekunde in Anspruch nehmen, dauerte zuletzt aber wegen Softwareproblemen immer wieder bis zu einer halben Minute. Bei Dutzenden ausgestellten Rezepten jeden Tag kamen dabei lange Wartezeiten zustande.
Zwar wurden die meisten Probleme aus Wien gemeldet, Beschwerden gab es in den vergangenen Monaten aber auch aus anderen Bundesländern, in denen Elga nach und nach ausgerollt wurde. Laut Ärztekammer waren bisher rund eine Million Patienten von den Verzögerungen betroffen.
2 Was sagt die Ärztekammer zu den zahlreichen Ausfällen in Wien?
„Die Situation ist besorgniserregend und unzumutbar“, sagt Johannes Steinhart, Vizepräsident der Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Die vermehrten Ausfälle sorgten für Frust, Zeitverlust und zunehmende Beunruhigung darüber, wie es mit Elga weitergehen soll.
„Die Ausfälle bedeuten eine immense Störung des Behandlungsprozesses für Ärzte und Patienten“, sagt auch Dietmar Bayer, in der Kammer Referent für Telemedizin und medizinische Informatik. „Die Situation ist derzeit inakzeptabel. Unsere Ärzte verdienen ein ausfallsicheres System, das ausgereift und auf dem aktuellen Stand der Technik ist, und keine behindernde und veraltete Elga-Lösung.“Vor allem im Hinblick auf die bevorstehende Einführung des E-Rezepts, E-Befunds und E-Impfpasses, die alle auf dem Elga-System basieren werden.
Die Elga-Betreiber verharrten aber in ihrem „bürokratisch-starren Denken“, meint Steinhart. „Elga muss gestoppt und neu aufgesetzt werden. Solange das System nicht fehlerfrei funktioniert, raten wir Ärzten von der Verwendung ab.“Die Nutzung erfolge daher auf eigenes Risiko. Ärzte könnten nicht mit einem System arbeiten, das nur teilweise oder gar nicht funktioniert. Bayer: „Wir lehnen technische Hilfsmittel nicht ab, aber wir müssen uns auf sie verlassen können. Mit einem EKG, das nur zu 90 Prozent funktioniert, können wir auch nicht arbeiten.“
3 Wie reagiert der Hauptverband der Sozialversicherungsträger auf die Kritik der Ärzte?
Volker Schörghofer, der für Elga zuständige Generaldirektorstellvertreter im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, räumt technische Defekte ein, die man aber mittlerweile behoben habe.
Zu den Problemen sei es wegen der hohen Zahl der Ärzte gekommen, die zeitgleich auf Elga zugegriffen hätten. Aber war damit in Wien nicht zu rechnen? Nein, das wäre nicht zu verhindern gewesen, da man „Massentests“benötige, um solche möglichen Schwierigkeiten zu erkennen, so Schörghofer. Bayer gibt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden, wenn ein Problem gelöst werde, folge schon das nächste. Daher müsse Elga „auf null gestellt“und mit externen Experten neu konzipiert werden. Bis dahin werde die Aufforderung an die Ärzte, Elga nicht zu verwenden, aufrechtbleiben.
4 Welche Funktion hat die Elektronische Gesundheitsakte eigentlich?
In der Akte, die seit vier Jahren – zunächst in Spitälern, seit einem Jahr in Ordinationen – schrittweise eingeführt wird, werden Diagnosen, Behandlungen, Rezepte und Befunde dokumentiert, die für Ärzte, Apotheker und die Patienten selbst abrufbar sind.
Die wichtigste Funktion von Elga ist die E-Medikation, mit der vom Arzt verordnete und in der Apotheke ausgegebene Medikamente in der E-Medikationsliste ein Jahr lang gespeichert werden. Dadurch sollen Doppelverschreibungen und Wechselwirkungen vermieden werden.
5 Kann man sich als Patient von Elga abmelden?
Ja, die Teilnahme ist freiwillig. Patienten dürfen sich ganz aus dem System nehmen (www.gesundheit.gv.at) oder bestimmte Befunde für den Zugriff der Ärzte sperren. Bisher haben sich knapp 300.000 Menschen abgemeldet. Die letzte Welle mit 5000 Abmeldungen gab es Mitte 2018 während der Debatte um die von der Regierung geforderte Freigabe von Elga-Daten für die Forschung.