Heute endet der INF-Vertrag von 1987, der den Abbau von Mittelstreckenwaffen der USA und UdSSR bewirkt hat. Washington und Moskau kündigten ihn im Februar. Ein Motiv war China.
Militär.
So also wird Geschichte sozusagen selbst zu Geschichte: Mit Ende des heutigen Tages endet die Gültigkeit eines der berühmtesten Abrüstungsverträge, des 1987 von den USA und der UdSSR geschlossenen Abkommens über landgestützte nukleare Mittelstreckensysteme (Intermediate Range Nuclear Forces, INF).
Die Staatschefs Ronald Reagan und Michail Gorbatschow hatten vereinbart, eine Kategorie von Boden-Boden-Raketen und -Marschflugkörpern mit Reichweiten von 500 bis 5500 Kilometern abzubauen und zu verbieten; betroffen waren trotz des Vertragstitels auch nicht nukleare Systeme. Da aber Russland seit Jahren im Verdacht steht, ein verbotenes Flugkörpersystem mit mindestens 2600 km Reichweite namens Iskander-K zu besitzen, kündigte US-Präsident Donald Trump am 1. Februar den Vertrag. Die sechsmonatige Kündigungsfrist begann. Russlands Präsident, Wladimir Putin, zog tags darauf „spiegelbildlich“nach.
Da weitere Gespräche erfolglos geblieben sind oder gar nicht stattgefunden haben, wird eine offizielle Neuauflage dieser Waffen erwartet. Gerüchten zufolge könnten schon in den nächsten Wochen in den USA Teststarts bodengestützter Marschflugkörper mit mehr als 500 km Reichweite stattfinden. Russlands Vizeaußenminister, Sergei Rjabkow, warnte die USA, solche Waffen nach Europa zu bringen: Man würde eigene Systeme der Art dann im Westen Russlands postieren – und auch in Reichweite der USA. Rjabkow hat Venezuela und Kuba genannt, was an eine Neuauflage der Kuba-Krise von 1962 denken lässt, die sich an der Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba entzündet hat.
Der INF-Vertrag beendete das legendäre, von den Russen ausgelöste Mittelstreckenwettrüsten der 1980er. Die Sowjets hatten seit den 1970ern zusätzlich zu alten, verbunkerten Raketen der Mittelstreckenklasse (eigentlich 1000 bis 5500 km Reichweite) Hunderte mobile aufgestellt, speziell SS-12 Scaleboard und SS-20 Saber. Mit Flugweiten bis 5500 km und einem bis zu drei Atomsprengköpfen deckten sie Nato-Europa und mehr ab. Die Nato zog nach, holte aus den USA 108 Pershing-II-Raketen und 464 landgestützte Gryphen-Marschflugkörper, die in Europa, vor allem in Westdeutschland, massive Proteste auslösten.
Der INF-Vertrag führte bis 1991 zum Abbau von 846 Raketen und Marschflugkörpern der USA und 1846 der UdSSR, weitere „Ostblockländer“, die BRD und Frankreich strichen ihre eigenen Systeme. Ende der 2000er-Jahre aber gab es Gerüchte, wonach Russland für das mobile Kurzstreckensystem Iskander an einem neuen Flugkörper mit vertragswidriger Reichweite baue; spätestens 2014 schrieben darüber westliche Medien.
Der Urahn des im Westen SSC-8 Screwdriver genannten Objekts ist das landgestützte System Relief (SS-C-4 Slingshot), das mit 3000 km Schussweite vor der Aufstellung im Baltikum war, als der INF-Vertrag kam. Russland bejaht die Existenz der Screwdriver (auch: 9M729) und Iskander-K, behauptet aber, ihre Reichweite liege bei 480 km. Laut westlichen Berichten soll es 64 bis 75 Stück an mehreren Orten auch im europäischen Russland geben.
Wie werden die USA nun technisch handeln? Simpel wäre es, die Gryphons in moderner Form nachzubauen. Sie flogen 2500 km weit und waren nur Varianten der Tomahawk-Flugkörper, die heute zur Standardbewaffnung von Kriegsschiffen zählen und die man nur in Startrampen an Land packen müsste. Und das, so Moskau, planten die USA: Tomahawks ließen sich ins Raketenabwehrsystem der USA und Nato namens Aegis Ashore integrieren. Es hat seit 2016 eine Rampe in Rumänien, 2020 soll eine in Polen stehen. Die Nato betont den defensiven Charakter, doch mit Softwareänderungen ließen sich tatsächlich Tomahawks gegen Landziele schießen.
Die Nato-Partner unterstützten den US-Ausstieg aus dem Vertrag, mit Hinsicht auf Russland. Neue Waffen a` la Pershing-II und Gryphon/Tomahawk will aber keiner davon in Europa haben. Auch ist der Nutzen eines Nachrüstens zumindest jetzt zweifelhaft, weil die Nato-Kräfte see- und luftgestützte Kurz- und Mittelstreckenflugkörper jedenfalls konventioneller Art besitzen, dazu kommen nukleare Luft-Boden-Flugkörper der USA.
Für Moskau und Washington ist ein Hauptmotiv für die Aufrüstung das Hintertreffen in diesem Feld gegenüber Staaten, die nicht im INF waren: Man verweist auf China, dessen strategische Streitkräfte meist auf Mittelstreckenraketen bauen; auch Nordkorea, Indien, Pakistan, Israel, der Iran und Saudiarabien besitzen viele, auch nukleare landgestützte Mittelstreckensysteme. Keines der Länder äußerte bisher Interesse an Rüstungsbegrenzung in dem Sektor.