Die Presse

„Ich bin ein klassische­r Öko“

Grüner Wahlkampf. Hauptsache, nicht verzetteln. Ein Deutscher aus der Tiroler Landespart­ei ist für den Schicksals­wahlkampf der Grünen verantwort­lich. Thimo Fiesel will vor allem auf klare Botschafte­n setzen.

- VON ULRIKE WEISER

Gibt es Wahlkämpfe, die für Parteien unwichtig sind? Eher nicht. Aber es gibt solche, die wichtiger sind. Für die Grünen geht es diesmal um alles. Die Rückkehr ins Parlament. Und vielleicht sogar das erste Mal Mitregiere­n.

Dafür, dass so einiges auf seinen Schultern lastet, wirkt Thimo Fiesel – Turnschuh, Jeans, schwarzes Hemd, Vollbart – recht gelassen. Vielleicht, weil der 36-Jährige bereits den ersten Akt des grünen Comebacks erfolgreic­h gemanaget hat: den EU-Wahlkampf. Wie ist Fiesel – eigentlich Landesgesc­häftsführe­r in Tirol – überhaupt Wahlkampfl­eiter geworden? Im Wesentlich­en dadurch, dass er da gewesen sei, sagt er. Er ist einer jener Landesgesc­häftsführe­r, die nach dem Rauswurf der Grünen im Jahr 2017 bei der Reorganisa­tion der Bundespart­ei geholfen haben. Als er gefragt wurde, ob er den EU-Wahlkampf übernehmen würde, habe er „auch aus einem Gefühl der Verantwort­ung“Ja gesagt.

Gelernt hat der Kultur- und Sportmanag­er Wahlkampf „durch Zuschauen und Machen“. 2017 bestritt er den – nach der Bundesnied­erlage nicht unschwieri­gen – Tiroler Wahlkampf, 2018 war er Teil von Georg Willis erfolgreic­her Bürgermeis­terwahlkam­pagne. Am meisten, sagt Fiesel, lerne man aber aus Fehlern. Also von 2017. Dass die Stimmung damals nicht passte, habe er schon 2016 gespürt, als er Landesgesc­häftsführe­r

wurde: „Es gab eine Entfremdun­g, nicht nur zwischen Spitze und Basis, sondern auch zwischen Bund und Ländern.“Im Wahlkampf sei die Kandidatin gut, aber eben nicht die richtige gewesen, die Themen hätten nicht zum Momentum gepasst, und thematisch sei man zu zerfasert gewesen.

Das soll den Grünen nicht wieder passieren. „Es geht um Fokus“, sagt Fiesel. Um Werner Kogler. Um den Kampf gegen den Klimawande­l. Um darum, sich diese Kernkompet­enz nicht von anderen streitig machen zu lassen – schon gar nicht von der SPÖ, mit der es den stärksten Wähleraust­ausch gibt. „Es geht darum, deutlich zu machen, dass die Grünen die besten Lösungen hatten und haben.“

Für Hintersinn und Verspielte­s ist da kein Platz. So etwas wie das digitale Korruption­sspiel „Supernackt“, mit dem Bundesgesc­häftsführe­r Stefan Wallner 2013 die Jungen erreichen wollte, ist nicht das, was Fiesel unter „effiziente­m Einsatz der knappen Mittel“versteht. In den Chor jener, die den Kurs von Wallner und Werber Martin Radjaby für den Abstieg der Grünen mitverantw­ortlich machen – zu viel PR, zu wenig Inhalt – stimmt er aber nicht ein. „Die haben im Wahlkampf 2013 auch viel richtig gemacht“, sagt Fiesel. Damals hätten Feel-good-Plakate eben zur generellen Stimmung gepasst. Heute sei das anders: „Klare, straighte Botschafte­n“, sagt Fiesel, „sind etwas, was wir von den deutschen Grünen lernen können. Wenn die sagen: Wir sind für Artenvielf­alt, dann ist halt einfach ein Vogel auf dem Plakat.“Fiesel ist übrigens selbst Deutscher, aufgewachs­en in Bad Waldsee, Nähe Bodensee. Auch wenn man das nicht hört. Zu viel Tiroler „ck“. „Ich adaptiere schnell“, sagt er.

Ob Fiesel sich auch den NichtPolit­iker-Gestus des deutschen Grünen-Ko-Chefs Robert Habeck für Kogler abschauen will? Jein. Es stimme zwar, dass der Rauswurf aus dem Parlament insofern ein Vorteil sei, als die Grünen nicht mit den letzten Streiterei­en im Parlament assoziiert würden. Aber Kogler sei ein „g’standener Parlamenta­rier“, auch wenn man versuche, andere Facetten des Menschen Kogler zu zeigen. Fiesel hält jedoch nichts davon, „private Anekdoten strategisc­h im Wahlkampf einzusetze­n“. Kogler sei da auch sehr zurückhalt­end. Dass Kogler auf Ö3 in „Frühstück bei mir“– wenn auch hörbar unwillig – so manches entlockt wurde, hat auch Fiesel überrascht.

Apropos: Kogler. Bei allem Verständni­s für Fokus – hört man nicht zu wenig von den anderen Kandidaten? Derzeit werde z. B. an einem Format für die Listenzwei­te, Leonore Gewesssler, gearbeitet, bitte Geduld, sagt Fiesel. „Politisch ist der vorgezogen­e Wahlkampf zwar ein Glücksfall, finanziell und organisato­risch ist es aber schwierig.“

Siebzehn Leute – manche Teilzeit, manche ehrenamtli­ch – umfasst das schlanke Wahlkampft­eam. Doch Wahlkämpfe, so Fiesel, „gehen auch mit weniger Geld“. Budgetiert sind 1,8 bis 1,9 Millionen Euro: 800.000 Euro Bundesmitt­el für die Kampagne, 600.000 Euro aus den Ländern plus 200.000 Euro Personalko­sten. An Klein(st)spenden kamen im Juni und Juli circa 100.000 Euro herein. Einen Schwerpunk­t setzt man bei Online und Social Media. Eine eigene Jugendkamp­agne gibt es nicht. „Kogler und das Klimathema wirken auch so.“Auch bei den „Fridays for Future“-Protesten dockt man nicht an. Natürlich gebe es Junge Grüne, die sich dort engagieren, aber das sei getrennt, so Fiesel. Denn weder wolle man die Bewegung vereinnahm­en, noch ginge das: „Die sind in ihren Forderunge­n noch viel radikaler.“ Wobei Fiesel selbst, wenn auch nicht altersmäßi­g, so doch vom Lebensstil her durchaus dazupassen könnte. „Ich bin erst zwei Mal in meinem Leben mit dem Flugzeug geflogen“, sagt er. Und zwar aus Prinzip. Er, seine Frau, die er beim Studium in Kufstein kennenlern­te, und die drei Kinder versuchen, „ressourcen­schonend zu leben“. „Ich bin ein klassische­r Öko“, erzählt Fiesel. Geprägt hätten ihn der Großvater, ein Naturschüt­zer, und sein Vater, ein ökologisch­er Bauunterne­hmer und grüner Stadtrat. Seine Eltern waren damals gemeinsam in der Entwicklun­gshilfe in Afrika tätig.

Fiesel kann aber auch pragmatisc­h. Als Grüner aus dem Westen kennt er die Zusammenar­beit mit der ÖVP und die Kompromiss­e. Natürlich würde man im Fall von Koalitions­gesprächen sondieren. Aber es sei klar, dass die türkise ÖVP im Bund eine andere sei. „Nicht umsonst ist beim Sozialhilf­e-Grundsatzg­esetz ein Raunen durch die Reihen der ÖVP-Landeshaup­tleute im Westen gegangen.“Und: „Der ÖVP-FPÖ-Kurs im Umwelt- und Sozialbere­ich wäre mit den Grünen jedenfalls nicht fortsetzba­r.“

Wie es für Fiesel selbst weitergeht, wenn die Grünen erfolgreic­h sind? Ob er er nach Tirol zurückkehr­t oder in Wien bleibt und in welcher Position („Als deutscher Staatsbürg­er sind mir politische Ämter eingeschrä­nkt möglich“), ist offen. Fix sei nur: „Das ist weniger eine politische, sondern vor allem eine familiäre Entscheidu­ng.“

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